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Kein GelöbNIX 2010!

GelöbNIX-Proteste in organisierter Form wird es in diesem Jahr, soweit wir wissen, nicht geben. Wir zumindest verzichten darauf.

Das mag irritieren, schienen die GelöbNIX-Demos doch eine antimilitaristische Tradition zu sein. Wir können nicht für andere Gruppen reden, wollen aber einige Stichworte nennen, um unsere Haltung zu erklären.

Wenn rund 1000 Soldaten vor das Reichstagsgebäude ziehen, ist das natürlich eine Herausforderung für die antimilitaristische Szene. Der Platz der Republik symbolisiert in der herrschenden Lesart das Zentrum dieses Landes. Wenn dieses Zentrum in die alleinige Verfügungsgewalt des Militärs gerät, wenn dort keine Zivilistin und kein Zivilist mehr ohne ausdrückliche Erlaubnis der Bundeswehr hinein darf, dann sagt das über den Zustand dieser Gesellschaft weit mehr aus als die offizielle Politik selbst zugeben will.

Ein derartiger Militäraufmarsch wäre breitangelegte, spektrenübergreifende Proteste wert. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass Antimilitarismus kaum zur Massenmobilisierung taugt. Die 70-Prozent-Mehrheiten, die sich in Umfragen gegen den Afghanistan-Krieg aussprechen, zeigen sich nicht auf der Straße. Selbst innerhalb der linksradikalen Szene ist die Mobilisierung zu einer GelöbNIX-Demonstration kein Selbstläufer.

Es gibt zwar eine bemerkenswerte Bereitschaft zu klandestinen Aktionen in unterschiedlichen Militanzgraden, aber größere Kundgebungen gegen den deutschen Militarismus sind nicht drin. Die rege Beteiligung an den Protesten gegen den NATO-Gipfel im Vorjahr war überraschend und erfreulich, aber ganz offensichtlich spielte hier der Gipfel als Event eine zentrale Rolle für die Mobilisierung.

Was die GelöbNIX-Demos der letzten Jahre angeht, so waren sowohl die Mobilisierungsfähigkeit auf Seiten des Bündnisses als auch die Mobilisierungsbereitschaft in der Szene eher mau. Da spielt sicherlich der Umstand rein, dass angesichts der schikanösen Polizeiauflagen (bis hin zum faktischen Demoverbot im Vorjahr) eine Kundgebung innerhalb Sicht- und Hörweite des Gelöbnisses ohnehin unmöglich und die Kundgebung damit unattraktiv wurde. Woher das freundliche Desinteresse am Antimilitarismus, das wir bisweilen konstatieren, kommt, wäre eine tiefer gehende Analyse wert, die auch nach den Fehlern fragt, die auf Seiten des GelöbNIX-Bündnisses gemacht wurden. Insgesamt ist die Situation natürlich unbefriedigend, denn die Gefahren, die von der Bundeswehr ausgehen, dürfen nicht unterschätzt werden. Mit dem Massaker von Kundus hat sie letztes Jahr zweifelsfrei erwiesen, dass sie als „normale“ Armee funktioniert, das heißt: verbrecherisch wie alle anderen auch.

Dabei spricht die Tatsache, dass beim GelöbNIX keine Massenmobilisierung drin ist, keineswegs „an sich“ gegen eine Kundgebung. Wir meinen aber, dass der Aufwand, den eine Mobilisierung mit sich brächte, nicht in einem vertretbaren Verhältnis zum zu erwartenden Resultat steht.

Denn: Das wichtigste Ziel der Proteste war stets, das Ansinnen der Bundeswehr, sich selbst als unumstrittene, ruhmreiche Truppe zu präsentieren, zu durchkreuzen.

Wenn die Bundeswehr öffentliche Gelöbnisse zelebriert, will sie damit sich selbst, aber auch der zivilen Gesellschaft, demonstrieren, dass sie einen zentralen und unumstrittenen Platz in der Gesellschaft innehabe. Die Proteste hiergegen haben stets verdeutlicht: Das Militär wird keineswegs für alternativlos und unumstritten gehalten, im Gegenteil. Die Proteste hatten zur Folge, dass sich die Bundeswehr selbst einigelte. Nach drei erfolglosen Versuchen in der Öffentlichkeit (1996 vor dem Schloss Charlottenburg, 1998 vor dem Roten Rathaus und 1999 bereits in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Bendlerblock) zog sich die Bundeswehr in das gesicherte Areal des Bendlerblocks zurück. Die Proteste wurden noch einige Jahre fortgeführt, bis klar war: Das Militär hockt in seiner Festung und versteckt sich vor der kritischen Öffentlichkeit.
Als die Bundeswehr vor zwei Jahren aus dem Benderblock herauskam und vor den Reichstag marschierte, gab es auch die Demonstrationen wieder. Und wieder war die Folge, dass sich die Bundeswehr einigelte, was das Land Berlin jedes Jahr einige Hunderttausend Euro für den Polizeieinsatz kostet. Nun wird eben alljährlich zum 20. Juli der Platz vor dem Reichstag zur Festung ausgebaut. Wie schon erwähnt: Die Andeutung, die darin auf den Zustand der Gesellschaft liegt, wiegt schwerer als die Regierung offen zugeben will.

Natürlich war der GelöbNIX-Protest nicht allein gegen die Form des Militärrituals gerichtet. Das Gelöbnis war vielmehr eine Möglichkeit, für unsere Kritik an der deutschen Kriegspolitik eine höhere Aufmerksamkeit zu erhalten. Wir machen allerdings die Beobachtung, dass das Gelöbnis – und damit auch unser Protest – jedes Jahr weniger Aufmerksamkeit in den Medien erfährt. Hingegen konnten in der letzten Zeit diverse provozierende (Plakat-)Aktionen ein Maß an Aufmerksamkeit und Debatte erreichen, das mit GelöbNIX-Demos nicht mehr zu erhalten ist. Selbst klassische Informationsveranstaltungen halten wir derzeit für erfolgversprechender. Zu den vielen Punkten, die uns von der Bundeswehr unterscheiden, gehört die Fähigkeit, auf Rituale zu verzichten.

Wir müssen uns sehr genau überlegen, an welcher Stelle wir den Militarismus kritisieren und wie viel Zeit, Arbeitskraft und Geld uns das kostet. Und wir stellen fest, dass die Bundeswehr schon selbst dafür sorgt, dass sie kein öffentliches Gelöbnis durchführt. Das tut sie natürlich nur, weil sie weiß: Sobald sie sich der Öffentlichkeit öffnet, kriegt sie es auch mit Protest zu tun. Der Hauptzweck der Demo, ihr die öffentliche Selbstdarstellung zu verhageln, ist aber gegenwärtig auch ohne Demo zu erreichen. Und der beabsichtigte Imagezuwachs fürs Militär stellt sich sowieso nicht ein, dafür sind die BerlinerInnen viel zu sehr wegen der immensen Kosten und der Verkehrsbeeinträchtigungen genervt. In anderen Städten, und zu anderen Zeitpunkten, mag das freilich ganz anders aussehen.

Unsere Schlussfolgerungen sind nicht endgültig, und wir werden dort, wo wir in Bündnissen arbeiten, darüber diskutieren. Unsere Solidarität gilt dessen ungeachtet all jenen, die womöglich am 20. Juli unangemeldete Protestaktionen durchführen. Deshalb lassen wir auf dieser Homepage einige Informationen über die Planungen der Bundeswehr folgen. Wir verweisen außerdem auf bisherige Publikationen über den Hintergrund des Staatsstreiches der Offiziere des 20. Juli.

Achtung: Schaut daher für alle aktuellen Bewegungen in Sachen GelöbNIX bitte hier nach!