Und so weiter …

Die Anregung, Anordnung, und Initiierung von Kriegsverbrechen kann einer Vielzahl von oppositionellen Militärs angelastet werden. Generell muss ihnen vorgehalten werden, ihren Einfluss nicht auf die Verhinderung von Verbrechen bzw. ihrer Wiederholung sowie die Milderung bestehender Missstände genutzt zu haben. Wenn etwa die Sterblichkeit in den Kriegsgefangenen-Lagern im Bereich der Heeresgruppe Mitte für den Dezember 1941 mit 25 Prozent angegeben wurde, so war das ein Thema, für das sich der gesamte Stab der Heeresgruppe hätte interessieren müssen – sowohl aus Gründen der administrativen Zuständigkeit als auch aus militärischen Gründen, da eine Rückwirkung grausamer Behandlung von KG auf die Kampfmoral der Roten Armee durchaus erkannt wurde. Das Fehlen jeglichen ernsten Protestes kann daher nicht anders als zumindest teilweise Zustimmung zum Verbrechen gewertet werden.

Vor allem der Bereich der Partisanenbekämpfung wurde fast ausnahmslos als „normales“ militärisches Betätigungsfeld gesehen, dessen direkte Verknüpfung mit dem Vernichtungscharakter des Krieges ausgeblendet wurde. Beispielhaft dafür lässt sich die für den 25. Mai 1943 angesetzte Besprechung beim GenQu nennen, der sich Sorgen um die Gefährdung der Wirtschaftskraft der besetzten Gebiete machte. Der Wirtschaftsstab Ost hatte die Aufgabe, die Unterlagen dafür auszuarbeiten, die Wagner unter die Vorgaben stellte, die Gefährdung durch Partisanen „drastisch zum Ausdruck zu bringen“ und „weitestgehend“ veranschaulichen. Mit anderen Worten: es sollte ein möglichst düsteres Bild gezeichnet werden, das dann zu weit reichenden Maßnahmen legitimieren sollte. Innerhalb des Wirtschaftsstabes Ost übernahm dessen stellv. Gruppenleiter Leutnant Peter Yorck Graf von Wartenburg diese Aufgabe, wobei er die Lage noch dramatischer schilderte als vorgegeben und so der Brutalisierung der Partisanenbekämpfung Vorschub leistete (Gerl.1109f).
Yorck stand schon seit langem mit der militärischen Opposition in Verbindung und war einer der führenden Köpfe des Kreisauer Kreises. Er wurde am 8. August 1944 hingerichtet.

General Georg Thomas war als Leiter des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes maßgeblich am Hungerplan gegen die sowjetische Zivilbevölkerung beteiligt. Als Ergebnis einer Staatssekretärsbesprechung bei ihm wurde am 2. Mai 1941 festgehalten, der Krieg gegen die Sowjetunion sei nur zu führen, „wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird. […] Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.“ (Gerlach 46) Thomas forderte eine entsprechende Weisung des Führers und legte auch gleich einen Entwurf dafür vor: Wirtschaftlich unbedeutende Gebiete sollten „bei weitestgehender Ausbeutung wirtschaftlich vernachlässigt werden“, sprich: nicht mit Lebensmitteln versorgt werden.
Thomas stand seit 1938 im Kontakt mit Widerstandskreisen. Nach dem 20. Juli wurde er verhaftet und in KZ-Haft verbracht.

Die Zusammenarbeit des Heeres mit der SS, die von Wagner und Heydrich ausgearbeitet worden war, wurde auch vom Abwehroffizier der Heeresgruppe Mitte, Oberst Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff, verfolgt. In einer Besprechung zwischen Ic der Heeresgruppe B und des OKW wurde die Notwendigkeit der „Vermeidung von Operationsstörungen“ festgehalten. Exekutionen sollten von den Einsatzkommandos „möglichst abseits der Truppe vorgenommen werden“.
Von Gersdorff hatte also weniger Einwände gegen die Erschießungen als Bedenken, dass hieraus die Kriegführung in Mitleidenschaft gezogen werden könnte (Gerlach 82).
Als Ic der Heeresgruppe war es auch Gersdorffs Aufgabe, die Zusätze der Heeresgruppe B für den Kriegsgerichtsbarkeitserlass auszuarbeiten, die eine teilweise Entschärfung, aber auch eine teilweise Radikalisierung bedeuteten: So wurden nun auch „Freischärler“ mit dem Tode bedroht, die nur mit „gefährlichem Werkzeug“ hantierten; außerdem erklärte die Heeresgruppe die Haager Landkriegsordnung für ungültig (vgl. Kapitel Tresckow).

Dem Leiden der Kriegsgefangenen stand Gersdorff zwar erkennbar bedauernd gegenüber, gleichwohl nahm er es als unabänderlich hin. Anlässlich einer Besichtigung des Dulag 126 in Smolensk (die Todesrate betrug dort 100 täglich) hielt er am 13. 11. 1941 fest, die Lagerkommandantur tue, „was sie kann“, es fehlten aber Transportmittel, und so sei nichts zu ändern. Das zeigt, dass auch er der Versorgung der Truppe und der Sicherung des Vormarsches die oberste Priorität galt und nicht den völkerrechtlichen und humanitären Verpflichtungen gegenüber den Kriegsgefangenen (Gerlach 809).
Gersdorff gehörte als enger Mitarbeiter von Tresckow zum engeren Kreis der Verschwörung. Im März 1943 wollte er sich mit Hitler in die Luft sprengen, das Attentat scheiterte jedoch.

Dem Berliner Stadtkommandanten Generalleutnant Paul von Hase am 20. Juli die Aufgabe zu, den Staatsstreich in der Hauptstadt militärisch abzusichern. Er war es, der Major Remer den Auftrag erteilte, die Wohnung Goebbels` abzuriegeln. Am 8. August wurde er in Plötzensee hingerichtet.

Von Hase war zugleich Gerichtsherr des Zentralgerichts des Heeres. Als solcher beteiligte auch er sich am nationalsozialistischen Unrecht und versäumte es, von Spielräumen Gebrauch zu machen. Dies zeigt der Fall eines in der Außenstelle Wien angeklagten Stabsgefreiten: Dem Soldaten waren „zersetzende“, für die kommunistische Partei werbende Äußerungen zum Vorwurf gemacht worden. Das Gericht befand in seinem Todesurteil: „Nur eine kompromisslose Bekämpfung der kommunistischen Zersetzer verspricht Erfolg. Als Sühne für die Tat kam daher nur die Todesstrafe in Betracht“ (Messerschmidt 115).

Das Gnadengesuch, das Hase als zuständigem Gerichtsherr zugesandt wurde, lehnte dieser am 14. Juli 1944 ab. Das Todesurteil wurde aber nicht sofort vollstreckt. Nach dem 20. Juli übernahm Himmler auch die Funktion des Gerichtsherrn. Er veranlasste die Überstellung des Angeklagten ins KZ zur Überprüfung der Gnadenwürdigkeit. Bizarrerweise war es damit ausgerechnet einer der führenden Nazis, der ein Unrechtsurteil abmilderte, das von einem Nazigegner bestätigt worden war.

Wie sehr die von Führer und OKW selbst immer wieder mit den Attributen „gnadenlos“, „rücksichtslos“, „hart“ usw. versehen deutsche Kriegspolitik auch von den späteren Attentätern unterstützt wurde, wurde oben gezeigt. Ein Dokument, auf das immer wieder hingewiesen wird, um da Aufleuchten moralischer Empörung bei vielen (nicht nur an der Verschwörung beteiligten) Militärs zu zeigen, ist die Denkschrift von Generaloberst Johannes Blaskowitz vom 27. November 1939 in Verbindung mit seinen Aufzeichnungen vom Februar 1940. In diesem zeigt sich in der Tat über militärfachliche Bedenken hinaus moralische Empörung angesichts der in Polen begangenen Gräuel (Ueberschär, 156ff.). Wenn auf dieses Papier hingewiesen wird, sollte allerdings ein anderes, vom gleichen Blaskowitz zu verantwortendes Papier nicht übersehen werden, das knapp fünf Jahre später erschien.
Im Sommer 1944 war Blaskowitz Oberbefehlshaber der Armeegruppe G in der französischen Südzone. Die Verbrechen, die deutsche Truppen dort im Rahmen der Bekämpfung der immer stärker werdenden Partisanen begangen haben, wurden von Blaskowitz zu großen Teilen mitgetragen. Auf eine Beschwerde des französischen Regionalpräfekten antwortete Blaskowitz noch am 17. Juni, also eine Woche nach dem Massaker in Oradour: „Gegen einen solchen Kampf muss und wird die deutsche Wehrmacht sich unter allen ihr zu Gebote stehenden Machtmitteln wehren. Wenn dabei Kampfmethoden ergriffen werden müssen, die für Westeuropa neuartig sind, so bleibt festzustellen, dass auch der Kampf von Terroristen aus dem Hinterhalt für westeuropäische Verhältnisse etwas Neues darstellt“ (Meyer, 245). Außerdem relativierte er die deutschen Verbrechen mit dem Hinweis darauf, dass der Partisanenkampf „auf Anweisung der Anglo-Amerikaner [geführt wird], durch deren Luftterror im deutschen Reich Tausende und Abertausende deutscher Frauen und Kinder hingemordet werden“ (Meyer, 160).

Literatur:

Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland 1941-1944, Hamburg 1999

Manfred Messerschmidt: Motive der militärischen Verschwörer gegen Hitler, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000, S. 107-118

Ahlrich Meyer: Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940 – 1944: Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt 2000

Gerd R. Ueberschär (Hg.): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000