Antifaschismuslüge

Gelöbnis am 20. Juli: Die Antifaschismus-Lüge
Wie die Bundeswehr einen Feiertag verordnet bekommt

,,Wer öffentliche Gelöbnisse veranstaltet, muss sich selbst über Rechtsradikale und Neonazis in der Armee und in der Gesellschaft nicht wundern“, wetterte Jürgen Trittin 1998 beim zweiten öffentlichen Bundeswehrgelöbnis in Berlin auf der Gegenkundgebung. Times are changing: Trittin kam 1999 nicht zum Protest, dafür Angelika Beer zum Gelöbnis. Die Proteste der Kriegsgegner fand sie ,,total daneben“. Am 20. Juli 2000 wiederum, beim vierten Gelöbnis in Berlin, gab Frau Beer zu bedenken, es sei falsch, Gelöbnisse mit Zwang auf öffentlichen Plätzen zu veranstalten. ,,Auch viele Soldaten finden diese militärische Zeremonie nicht so gut.“

Damit hat sie zwar Recht, das ist Scharping aber egal. Rekruten der gelobenden Einheit hatten bereits 1998 berichtet, ihre Kommandanten seien über die Vorgabe, vor dem Roten Rathaus zu geloben, gar nicht glücklich. Ein Jahr später erlebten die Soldaten des Wachbataillons das Desaster, dass mitten im feierlichsten Moment, dem Sprechen der Gelöbnisformel, 18 KriegsgegnerInnen auf dem Platz herumrannten, medienwirksam teils unbekleidet, teils mit parolenverzierten Regenschirmen. Ein Horror für die Kommandierenden, die fernab der großen Politik möglichst in Ruhe geloben lassen und drillen wollen.

Durchhaltebefehl zu Gelöbnissen

Eigentlich will die Bundeswehr mit der Durchführung öffentlicher Gelöbnisse verdeutlichen, dass die Bundeswehr integrierter Bestandteil der Gesellschaft sei. Das versäumte auch Scharping in seiner Ansprache am 20. Juli 2000 nicht zu betonen. Tatsächlich wird dieses Anliegen aber nirgends besser konterkariert als bei solch pseudoöffentlichen Gelöbnissen wie in Berlin: Die Öffentlichkeit bleibt ausgesperrt, mindestens 2000 Polizisten und Feldjäger sichern die Veranstaltung. Dennoch gab Scharping am Abend des 20. Juli 2000 die Parole aus, in Zukunft immer an diesem Tag ein Gelöbnis abzuhalten. Was treibt den Mann um?

Eine Armee ist nur in dem Maße kriegsführungsfähig, wie sie Unterstützung durch die Heimatfront erhält. Die Gesellschaft muss das Gefühl haben, die Bundeswehr sei ein vertrauenswürdiger Verein; ohne Integration in die Gesellschaft kann die Bundeswehr ihre volle Kampfkraft nicht entfalten. Das ist nicht nur eine Frage der tatsächlichen Aufgaben und Ziele, welche die Armee umsetzen und erreichen soll, sondern auch eine der öffentlichen Vermittlung. Seit 1990 hat die Bundeswehr in dieser Hinsicht schon viel erreicht durch die angeblichen ,,Hilfseinsätze“, die möglichst überall auf der Welt durchgeführt wurden und die in den letzten Jahren durch stärker bewaffnete ,,humanitäre Missionen“ bis hin zum offenen Kriegseinsatz abgelöst worden sind. Was unter Kohl aber nicht erreicht wurde, war, auch für die richtige historische Einordnung zu sorgen. Die Bundeswehr ist kein geschichtsloser Verein, und sie will das auch gar nicht sein.

Auf der Suche nach der richtigen Tradition

Scharping dürfte klar gewesen sein, wie schwierig sein Ziel zu erreichen ist, der Bundeswehr eine Traditionslinie zu eröffnen, die angesichts ihrer kurzen Existenzdauer in die Zeit vor Gründung der Bundesrepublik reichen soll. Diese Linie soll zugleich ,,gesellschaftsfähig“ sein, auch in Hinsicht auf das Ausland, das bisweilen noch skeptisch wird, wenn sich deutsche Militärs regen. Dass man dabei nicht einfach auf alles Bezug nehmen kann, was vor 1945 beim deutschen Militär üblich war, wurde schon im Traditionserlass von 1982 erkannt. Darin heißt es in reichlich verschwiemelter Formulierung, dass Teile der Wehrmacht in Naziverbrechen ,,schuldhaft verstrickt“ gewesen seien, wohingegen andere Teile von den Nazis nur ,,schuldlos missbraucht“ worden seien. Das Eingeständnis, dass die Wehrmacht als ganze nicht vorzeigbar ist, ist dabei schon eine kleine Revolution. Aufgebaut wurde die Bundeswehr bekanntlich von Generälen aus der Nazizeit. Einheiten der Bundeswehr halten bis heute ,,Patenschaften“ mit den Veteranen von Wehrmachtseinheiten, ob diese an über das ,,übliche“ Maß hinaus reichenden Verbrechen beteiligt waren, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Solange die Medien nicht nachfragen, und in den fünfziger und sechziger Jahren haben sie nicht nachgefragt, gibt es keine derartigen Probleme. Zu Hochzeiten des Kalten Krieges herrschte in der Gesellschaft wie in der Truppe entweder Schweigen über dieses Thema oder die Auffassung, die Wehrmachtssoldaten hätten ,,tapfer“ und ,,tugendhaft“ gekämpft. Verbrechen hatten nur die Nazis begangen, nicht aber die Wehrmacht, die war schlimmstenfalls ,,missbraucht“ worden, was man ihr aber nicht vorwerfen durfte.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Die Zeiten haben sich geändert, die rot-grüne Regierung hat das besser mitbekommen als ihre Vorgängerin, und sie ist auch besser in der Lage, die Reklame für die Bundeswehr den neuen Umständen anzupassen. Das illustriert eindrucksvoll die Wahl von Ort und Datum öffentlicher Gelöbnisse in Berlin: CDU-Verteidigungsminister Rühe hatte 1998 ausgerechnet den 13. August angepeilt und als Ort das Rote Rathaus gewählt. Was er mit dieser Ortswahl vermitteln wollte – ob die Bundeswehr am Tag des Mauerbaus eine Art Siegesparade im Osten abhalten wolle, oder ob sie sich selbst, so ein hämischer Vorwurf, in die Tradition der Kampfgruppen der Arbeiterklasse stellen wolle – konnte Rühe nicht erklären, und so sah er sich zum Rückzug veranlasst. Das neue Datum war dann der 10. Juni, als historisch vermeintlich unbelasteter Tag. Nun ist es aber so, dass es einen solchen Tag in der deutschen (Militär)Geschichte einfach nicht gibt. An einem 10. Juni wurden gleich drei Massaker angerichtet: 1942 in Oradour-sur-Glane und 1944 in Lidice und Distomon.

Die Modernisierung der historischen Sinngebung erfolgte erst mit Scharping, der ein Jahr später am 20. Juli antreten ließ, und zwar am Bendlerblock. Also an dem Tag, an dem Wehrmachtsoffiziere einen Putschversuch gegen Hitler unternahmen, und an dem Ort, nämlich dem damaligen Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht, der damals ihre Schaltzentrale war und an dem einige von ihnen noch in der folgenden Nacht hingerichtet wurden.

Der 20. Juli ist zwar nicht erst von Scharping ,,entdeckt“ worden, in diversen Erlassen tauchte er schon vor Jahrzehnten auf, und einen staatlichen Kranzabwurf hat es auch schon lange zuvor gegeben. Immerhin ist der 20. Juli ein Tag, der in der Öffentlichkeit mit antifaschistischem Widerstand assoziiert wird. Truppenintern hingegen galt die Offiziersverschwörung lange als verräterisches Unternehmen. Mit der Durchführung der bis dahin eher glücklosen Berliner Gelöbnisse an diesem Tag macht Scharping nun Ernst mit dem Versuch, eine neue, ,,verkaufsfähige“, Traditionslinie zu eröffnen. Er macht damit allerdings auch klar: Eine völlige Abkehr von der Wehrmacht wird nicht angestrebt. Immer noch wird die Wehrmacht als Traditionsstifterin der Bundeswehr herangezogen – deutlicher als früher sollen es jetzt aber nur noch die ,,guten“ Wehrmachtsteile sein.

Und so preschte Rot-Grün zu Beginn der Amtszeit auch in anderen Bereichen voran: Die Traditionszimmer in den Kasernen – Orte, in denen an Hand von Ausstellungsstücken, Uniformen, Abzeichen, Frontverlaufskarten usw. bis heute die ,,Heldentaten“ der Wehrmacht glorifiziert werden – sollten entnazifiziert werden. Das ist bis heute nicht geschehen und wird auch in Zukunft nur dort passieren, wo ein unbedachter Kommandant nicht auf Journalisten aufpasst. Michael Naumann, früher Staatsminister für Kultur, kündigte 1999 großspurig an, die Namen innerhalb von zwei Jahren zu ändern. Das Verteidigungsministerium bremste Naumanns Elan, mittlerweile ist von der Umbenennung nicht mehr die Rede.

Dies allerdings steht nicht im Widerspruch zur neuen Reklamepolitik der Bundesregierung: Dass es für rechtsgestrickte Wehrpflichtige noch jede Menge ideologischer Übereinstimmungen mit der Bundeswehr gibt, hält die Truppe zusammen, was kein Schaden ist, da in der Öffentlichkeit nicht darüber geredet wird. Die Überzeugungsarbeit, welche die Bundeswehr gegenüber der Gesellschaft leisten muss, findet dann mit dem 20. Juli als Tag des verordneten Antifaschismus statt. Zweigleisig gefahren kommt man besser zum Erfolg.

Mit Stauffenberg in den Krieg

Die Attentäter werden heutzutage intensiv als Traditionsstifter bemüht: ,,Die Bundeswehr steht in der Tradition des militärischen Widerstandes“ – der Wehrmacht (1), erklärte Scharping klipp und klar. Der frühere Generalinspekteur Naumann hob hervor: ,,Sie [die Attentäter, F. B.] schöpften ihre Hoffnung aus der Perspektive eines neuen und besseren Deutschland. Diese Hoffnung ist in unserem Land Wirklichkeit geworden.“ (2) General a. D. Ulrich de Maizière sekundierte am 11. Juli 2000 in der Offiziershochschule des Heeres in Dresden, die Attentäter hätten ein Signal gesetzt, ,,dass es noch ein anderes, besseres, von sittlichem Ernst getragenes Deutschland gab“. (3) Die deutsche Geschichte ist erst einmal entsorgt, Deutschland kann sich dank seiner ,,ehrenhaften“ Widerständler wieder sehen lassen – auch auf den Schlachtfeldern.

Denn die Offiziere des 20. Juli sollen auch als Auftraggeber herhalten: ,,Ihre Tat bedeutet für uns aber auch, nicht wegzusehen […] wenn bei uns, oder um uns herum, Unrecht geschieht“, so Naumann. (4) ,,Nicht wegzusehen“, wenn irgendwo Unrecht geschieht, soll heißen: mitmachen. Das bessere Deutschland, das ist die BRD, wie sie leibt und lebt und Kriege führt.

Alles Nazis?

Von den Attentätern wurde gelernt: Keine brutalen Überfälle mehr, sondern nur noch Aktionen gegen Hitler. Der lebt derzeit bekanntlich in Belgrad, war zuvor in Bagdad und wird zukünftig woanders ausgemacht werden. Der 20. Juli dient heute der Selbstbeweihräucherung der deutschen Armee und ihrem Schulterschluss mit Gesellschaft und NATO-Armeen. Wer kann schon etwas gegen Soldaten haben, die gegen Hitler kämpfen?

Und genau das tun die Bundeswehr-Krieger angeblich, auch das hat Rotgrün durchgesetzt. Die Dämonisierung eines vergleichsweise durchschnittlichen Potentaten wie Milosevic zum zweiten Hitler, die Bezeichnung tatsächlicher, angeblicher und erfundener Kampfhandlungen als Massaker wie die Einführung der Vokabel ,,Völkermord“ für die Vertreibung kosovarischer Dorfbevölkerungen hatte nichts mit den realen Verhältnissen in Jugoslawien zu tun. Dass die entsprechenden Berichte zum Großteil frei erfunden oder maßlos übertrieben waren, wird jetzt nach und nach aufgedeckt und eingeräumt. Die Rede vom Holocaust im Kosovo hatte nur den Zweck, einen Joseph Fischer unter der Parole ,,Nie wieder Auschwitz!“ internationale Brigaden nach Jugoslawien schicken zu lassen. Kriege wollen der Öffentlichkeit vermittelt werden, daher hat die Ehrung der Attentäter des 20. Juli auch nichts mit Antifaschismus zu tun (dazu wären die Offiziere auch die Falschen), sondern mit politisch-strategischen Notwendigkeiten. Es ist nur folgerichtig, dass Scharping zugleich sämtliche Widerstandsaktivitäten anderer Gruppen als zweitrangig abtut: ,,Der 20. Juli ist der Inbegriff und das Symbol des gesamten deutschen Widerstandes“, behauptete er in seiner Gelöbnis-Ansprache. Der antimilitaristisch, kommunistisch, religiös usw. inspirierte Widerstand – spielt alles keine Rolle.

Es zeichnet sich ab, dass die Bundesregierung den 20. Juli in Zukunft verstärkt zum Politikum machen will. So ganz durchgesetzt hat sie sich damit bisher nicht. Auch die bürgerliche Presse stellt immer wieder die Frage, ob ein Gelöbnis am historischen Ort des Bendlerblocks angemessen ist, und gibt dabei zu verstehen, dass sie über die wenig demokratischen Motive der Attentäter unterrichtet ist. In der taz vom 20. Juli 2000 meldeten sich Verwandte von Attentätern zu Wort, die sich gegen die Vereinnahmung ihrer Vorfahren bzw. Angehörigen für die deutsche Militärpolitik wandten.

Frank Brendle

(1) taz 5. 3. 99.
(2) IfdT 7/94
(3) General a. D. Ulrich de Maizière am 11. 7. 2000 in der Offiziershochschule des Heeres, Dresden, vgl. Truppenpraxis 7/2000
(4) IfdT 7/94