Hellmuth Stieff gehörte ab Sommer 1943 zur Militäropposition im Oberkommando des Heeres (OKH), wo er als Chef der Organisationsabteilung arbeitete. Am 21. Juli wurde im Führerhauptquartier verhaftet, am 8. August hingerichtet.
Von Militärhistorikern wird immer gerne darauf hingewiesen, dass Stieff sich äußerst kritisch über die deutschen Besatzungsverbrechen geäußert hat. Im November 1939 berichtete er etwa aus der „Ruine Warschau“: „Man bewegt sich dort nicht als Sieger, sondern als Schuldbewusster.“ Ohne die Morde an der polnischen, vor allem der jüdischstämmigen Intelligenz extra zu erwähnen, schrieb er dazu: „Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein.“
Ähnlich scharfe Worte verlor er im Herbst 1941 über Hitler, der als „wahrer Teufel in Menschengestalt so etwas erfindet, wovor ein Dschingis Khan vor Neid erblassen würde.“
Zu den Deportationen von Juden schließlich schrieb er: „Aber dafür reicht die Bahn noch aus, jeden 2. Tag einen Zug mit Juden aus dem Reich nach Minsk zu fahren und sie dann dort ihrem Schicksal preiszugeben. Das ist […] eines angeblichen Kulturvolkes unwürdig. Es muss sich das alles mal an uns rächen […].“
Was gerne vergessen wird, dazu zu sagen: Diese Äußerungen hat Stieff nicht öffentlich gemacht, sondern ausschließlich in Briefen an seine Frau, die er ermahnte, nichts davon weiterzugeben. Dieses Vorgehen diente seinem Selbstschutz.
Unzweifelhaft zeigt sich bei Stieff ein moralisch motivierter Abscheu vor den deutschen Kriegsverbrechen. Aus der gleichen Quelle, nämlich den Briefen an seine Frau, lässt sich aber auch ersehen, dass er an ebendiesen Kriegsverbrechen auch teilnahm, worin sich einmal mehr die Janusköpfigkeit der deutschen Offiziersopposition zeigt.
Wenn Stieff auch nicht die Ermordung der jüdischen Bevölkerung guthieß, so war er von heftigen antisemitischen Ressentiments befallen, wie beispielsweise sein Brief vom 21. 11. 39 aus dem besetzten Lodz zeigt:
„Lodz ist eine ganz scheußlich hässliche Stadt. Ungezählte Juden, die alle eine gelbe Armbinde am rechten Oberarm tragen müssen […]. Und was für Typen sieht man da! Es ist einfach unfassbar, dass so etwas vorhanden ist!“
Auch Stieff zögerte nicht, sich an der Ausplünderung der besetzten Sowjetunion zu beteiligen. Im gleichen Brief vom September 1941, in dem er Hitler als „Teufel in Menschengestalt“ bezeichnet, teilte er seiner Frau mit:
„Morgen geht ein Päckchen mit 1 Pfund Butter aus Litauen an Dich ab. Auch meiner Mutter schicke ich 1/2 Pfund. Die restlichen Sachen schicke ich auch umgehend, dabei Kernseife aus der Ukraine.“ Wohlgemerkt: Zu diesem Zeitpunkt verhungerten bereits Zehntausende sowjetischer Kriegsgefangener!
Was er von der russischen Bevölkerung hielt, zeigt kurz und knapp seine Äußerung vom 11. November 1941, angesichts zunehmender Probleme der Wehrmacht:
„Man wird apathisch und stumpfsinnig wie ein Russe.“
Für Stieff war klar, dass das deutsche Interesse an der Niederwerfung der Sowjetunion wichtiger war als das nackte Überlebensinteresse der SowjetbürgerInnen. Am 19. 11. 41 schrieb er:
„Aber wir greifen jetzt einfach zur Selbsthilfe und nehmen den Panjes [russischen Bauern, F. B.] für unsere Leute die hier üblichen Filzstiefel und wattierten Bekleidungsstücke fort. Es ist schon besser, die Bevölkerung verhungert und erfriert als wir.“
Freimütig räumte er am 7. Dezember 1941 ein, dass er sich an den „üblichen“ Wehrmachtsverbrechen beteiligte:
„Ich gebe heute besinnungslos den Befehl zum Erschießen von soundsoviel Politruks [Politoffizieren der Roten Armee, die gemäß „Kommissarbefehl“ völkerrechtswidrig nicht als Kriegsgefangene anerkannt und von der Wehrmacht meist sofort ermordet wurden, F. B.] oder Partisanen, er oder ich – das ist verdammt einfach. Ich überlege mir allerdings, ob ich einen deutschen Menschen und Kameraden in den Tod jage.“
Und noch im August 1943, nachdem er sich entschlossen hatte, die Offiziersopposition zu unterstützen, ging ihm Deutschland über alles:
„Wir dürfen um Gottes willen nicht einer Stimmung zutreiben, die völlig sinnlos und in restloser Verkennung der Dinge einer Friedenssehnsucht um jeden Preis nachhängt. Die Gefahr des Ostens ist sonst nicht zu bannen.“
Hervorhebungen wie im Original.
Nachzulesen in:
Hellmuth Stieff, Briefe. Hg. von Horst Mühleisen, Berlin 1991