Stülpnagel

Als Oberbefehlshaber der 17. Armee nahm der General der Infanterie Carl-Heinrich von Stülpnagel zunächst im Bereich der Heeresgruppe Süd am Krieg gegen die Sowjetunion teil. Im Februar 1942 wurde er MBF in Frankreich mit Sitz in Paris. Er war bereits ab 1938 in intensivem Kontakt mit oppositionellen Militärs und mehrfach in Staatsstreichplanungen integriert. Am 20. Juli 1944 unterstützte er den Staatsstreich durch die Festnahme der führenden SS-Befehlshaber und Mannschaften. Paris war der einzige Ort, an dem der Staatsstreich in etwa so verlief, wie er geplant war. Nicht zuletzt deshalb setzten die Verschwörer im Bendlerblock ihre Hoffnungen darin, dass wenigstens in Frankreich der Umsturz gelinge, genauer: dass es gelinge, den OB West für den Staatstreich zu gewinnen, um so die Westfront aufbrechen zu können. Nach dem 20. Juli 1944 versuchte Stülpnagel vergeblich, sich umzubringen; er wurde am 30. August hingerichtet.

Gegen den „jüdischen Bolschewismus“

Das Konzept des Vernichtungskrieges gegen den „jüdischen Bolschewismus“ wurde von Stülpnagel gleichwohl vollständig geteilt.
Dies wirkte sich in einer Vielzahl von Handlungen aus, mit denen Stülpnagel den mörderischen Antisemitismus der Naziführung unterstützte. Unmittelbar nach dem Einmarsch ins galizische Tarnopol 1941 setzte er sich in Schreiben ans RSHA und die SS-Einsatzgruppe C dafür ein, einheimische Antisemiten zu Mordaktionen an der jüdischen Bevölkerung anzuregen: „AOK 17 hat angeregt, zunächst die in den neu besetzten Gebieten wohnhaften anti-jüdisch und anti-kommunistisch eingestellten Polen zu Selbstreinigungsaktionen zu benutzen“ (Streit, 91f). Auch den Einsatzgruppen stellte sich die Armee nicht in den Weg, vielmehr erging an das Sonderkommando 4b am 22. September 1941 die Bitte des Abwehroffiziers (Ic) der Armee, als Reaktion auf Widerstandshandlungen Repressalien an der jüdischen Bevölkerung der Stadt Krementschug vorzunehmen. Einige Tage später hatte die SS-Gruppe 1600 Juden umgebracht. Das Sonderkommando 4b hatte Stülpnagels Truppe bereits im Juli ein gutes Zeugnis gegeben: „Wehrmacht erfreulich gute Einstellung gegen Juden“, hieß es in einem Bericht aus Tarnopol vom 6. Juli 1941.

Die antisemitische Einstellung Stülpnagels dokumentiert sich auch in seinem Vorschlag, in der Propaganda einerseits dem russischen Volk einen gewissen Wohlstand zu versprechen, andererseits den „vermehrte[n] Kampf gegen den Bolschewismus und das vor allem in seinem Sinne wirkende internationale Judentum“ zu fördern (Streit, 93f). Es müsse „der Gefahr vorgebeugt werden, dass die Juden über kurz oder lang unter der Hand wieder Einfluss gewinnen […] oder sich als Zentren einer Widerstandsbewegung betätigen können“ (Streit, 94).

Stülpnagel hat den Mord an der jüdischen Bevölkerung Galiziens nicht nur gefördert und sich um seine propagandistische Absicherung bemüht, sondern ihn durch eigene Befehle vorangetrieben. Besonders hervorzuheben ist dabei sein Befehl vom 30. Juli 1941, der als exemplarisch dafür betrachtet werden kann, wie die Partisanenbekämpfung mit dem eliminatorischen Antisemitismus Hand in Hand ging. Dieser Befehl betreffend die „Behandlung feindl. Zivilpersonen (Partisanen, jugendlicher Banden) und der russ. Kriegsgefangenen“ stellte einen klaren Verstoß gegen geltende völkerrechtliche Prinzipien dar. „Freischärler sind, sobald ihnen diese Tätigkeit nachgewiesen wird, auf Befehl eines Offiziers zu erschießen“, heißt es darin, ohne dass zuvor ein (kriegs)gerichtliches Verfahren gefordert wird. Einem Todesurteil gleich kam die Bestimmung, dass „verdächtige Elemente, denen zwar eine schwere Straftat wie Waffenbesitz nicht nachgewiesen werden kann, die aber hinsichtlich Gesinnung und Haltung gefährlich erscheinen, […] nach Möglichkeit an die Einsatzkommandos der SP (SD) abzugeben“ seien. Schließlich ordnete Stülpnagel an, dass auf Sabotagefälle wie auf sich abzeichnende „passive Widerstände“, sofern die Urheber nicht sofort festgestellt werden konnten, „unverzüglich kollektive Gewaltmassnahmen“ (sic) durchzuführen seien. Die Opfer dieser Maßnahmen sollten dabei „nicht wahllos“ herausgesucht werden, sondern es seien „in erster Linie jüdische und kommunistische Einwohner zu nennen“. Dabei könne auf Komsomolzen zugegriffen werden: „Besonders die jüdischen Komsomolzen sind als Träger der Sabotage und Bandenbildung Jugendlicher anzusehen“, so Stülpnagel (Ueberschär, 172-174, Hervorhebungen wie im Original)

Erwähnenswert ist außerdem die Anordnung des Ic/AO vom 7. September 1941, Juden „beim Passieren der Dneprbrücken festzunehmen“, womit ihnen der Fluchtweg nach Osten abgeschnitten wurde (Streit, 93).

Die Tatsache, dass Stülpnagel die Einsatzgruppen der SS in seinem Einsatzgebiet ungehindert wüten ließ, ja zum Morden regelrecht aufforderte, ist auch deswegen von grundsätzlicher Bedeutung, weil die SS damit nicht unbedingt rechnen konnte. Das zwischen RSHA (Heydrich) und OKH (GenQu, Wagner) ausgehandelte Abkommen vom März/April 1941 über die Zusammenarbeit der Einsatzgruppen mit der Wehrmacht in den rückwärtigen Heeres- und Armeegebieten sah lediglich vor, dass die „Träger der jüdischen Intelligenz“ von den Einsatzgruppen zu vernichten seien. Inwiefern die Wehrmacht Vernichtungsaktionen gegen die gesamte jüdische Bevölkerung zulassen würde, war ein Punkt, über den im RSHA vor Kriegsbeginn keine Klarheit herrschte. Stülpnagels Verhalten kam deswegen Signalwirkung zu. Unter Berufung auf das Abkommen hätte er die Tätigkeit der Einsatzgruppen beschränken können. (Streit, 99)

Geiselerschießungen in Frankreich

Stülpnagel übernahm im Februar 1942 das Amt des Militärbefehlshabers in Frankreich (MBF). Zu seiner Rolle ist eine Vielzahl exkulpatorischer Erklärungen abgegeben worden, des Inhalts, er habe sich um die deutsch-französische Verständigung bemüht, was aber von der SS stets konterkariert worden sei. Als Beispiel wird dabei gerne auf die Methoden der Partisanenbekämpfung, hier insbesondere der Geiselerschießungen, verwiesen: Diese sei von Stülpnagel abgelehnt, vom übergeordneten HSSPF aber angeordnet worden.

Tatsächlich war es so, dass der HSSPF, Carl-Albrecht Oberg, zwar im März 1942 ernannt wurde, faktisch aber erst am 1. Juni 1942 das Amt übernommen hat (Umbreit, 111). In diesem Zeitraum hat Stülpnagel mehrere Geiselerschießungen angeordnet. In der Sache verfuhr er dabei ähnlich wie bereits in Galizien: Als Sühne für Aktionen von Partisanen wurden vorrangig „Kommunisten und Juden“ erschossen (so die offizielle, von Stülpnagel angeregte Sprachregelung, mit der der Begriff „Geiseln“ ersetzt werden sollte). So etwa nach dem 1. März 1942, als nach einem Anschlag auf einen Wehrmachtsposten 20 (Meyer, 84) Geiseln erschossen wurden; außerdem nach einem Sabotageanschlag auf ein Umspannwerk (20 Geiseln erschossen) und nach einem Anschlag auf einen Sonderzug der Wehrmacht am 16. April: Zur „Abgeltung“ ordnete Stülpnagel „die sofortige Erschießung von 30 Kommunisten, Juden und dem Täterkreis nahestehenden Personen [..] sowie die Überführung von 1000 Kommunisten, Juden und dem Täterkreis nahestehenden Personen zur Zwangsarbeit nach dem Osten“ an (Meyer, 223). Auf ein weiteres Eisenbahnattentat am 1. Mai reagierte verfügte Stülpnagel als „Sühnemaßnahme“ die Erschießung von 28 Menschen (Meyer, 224). Der Begriff „Deportation“ war nach einer Anweisung Stülpnagels vom Mai 1942 durch den Begriff „Verschickung zur Zwangsarbeit“ zu ersetzen. (Meyer 2000, 217).
Dass die Praxis der Geiselerschießungen nach dem Mai 1942 – zunächst – beendet wurde, ist nicht dem Einfluss des MBF, sondern des RSHA zuzuschreiben: Heydrich hatte offenbar erkannt, dass die Geiselerschießungen mehr politischen Schaden anrichten als sie an Nutzen bringen konnten. Der Umstand bleibt, dass in direkter Verantwortung des MBF Stülpnagel mehrere Dutzend Erschießungen Unschuldiger liegen. Zu den Fällen exkulpatorischer Ausführungen muss hier auch Umbreits „Militärbefehlshaber in Frankreich“ genannt werden, der erklärt, Stülpnagel habe „nur 254“ Geiseln umbringen lassen (Umbreit, 142).
Hinzu muss man die unbekannte Anzahl jener rechnen, die aufgrund des „Nacht-und-Nebel-Erlasses“ vom 7. 12. 1941 dem SD übergeben wurden. Der Erlass sah vor, des Widerstandes Verdächtige „zur Abschreckung“ nach Deutschland zu verbringen und sie dort abzuurteilen, wobei die Verschleppung unter strikter Geheimhaltung erfolgte. Die Angehörigen mussten die Verhafteten für „verschwunden“ halten. In den Fällen, die der Militärgerichtsbarkeit unterlagen, lag die Entscheidung über die Abgabe an den SD beim MBF. (Messerschmidt, 112). Dieser zeigte sich aber dankbar und erleichtert über die Entlastung, welche die NN-Verfahren für die Wehrmachtgerichte bedeuteten (Umbreit, 144). Als oberster Gerichtsherr der Wehrmachtsgerichte kam Stülpnagel ohnehin das Bestätigungs- bzw. Gnadenrecht zu, so dass Stülpnagel für sämtliche Todesurteile von Kriegsgerichten verantwortlich ist. (Umbreit, 235)

Den Kampf gegen den „jüdischen Bolschewismus“ führte Stülpnagel auch nach dem Ende der Geiselerschießungen fort: Zum einen, indem er die Deportation insbesondere von Juden absicherte (etwa durch die Überlassung von Wach- und Begleitmannschaften). , wobei „Deportation nach dem Osten als Sühnemaßnahme“ bezeichnet wurde. (Meyer, 224)

Der Vernichtung in den KZ ging das zwangsweise Tragen des gelben Stern voraus, der am 28. Mai 1942 angeordnet wurde für die gesamte jüdische Bevölkerung des besetzten Frankreichs.
Zwei Wochen vor dieser Maßnahme regte Stülpnagel an, die richtige Stimmung dafür zu schaffen: Es sei „zweckmäßig […], dass in der Propaganda darauf hingewiesen wird, dass in letzter Zeit in besonders häufigem Maße Juden als Täter oder intellektuelle Urheber bei kommunistischen gegen die Wehrmacht gerichteten Terroraktionen festgestellt wurden“ (Meyer, 51)

Auch auf wirtschaftlichem Gebiet artikulierte Stülpnagel seine antisemitische Einstellung, so forderte er im Lagebericht für Oktober/Dezember 1943 eine Tempobeschleunigung bei der „Entjudung der Wirtschaft“. (Messerschmidt, 112). Von 42.700 erfassten „jüdischen Unternehmen, Beteiligungen und Grundstücken (Angaben der Militärverwaltung, Stichtag 1. 8. 44) waren 18.000 arisiert worden, fast 15.000 waren liquidiert und veräußert (Umbreit, 263).
Umbreit zeigt sich „überrascht […], dass der MBF […] zwar in mancher Hinsicht so viele Skrupel, kämpferischen Mut und Opposition bewiesen, gegen die Ungerechtigkeit gegenüber den Juden aber nichts“ unternommen habe (Umbreit, 260).
Ab Herbst 1943 wurden Aktionen der Résistance zum Massenphänomen. Der MBF verhängte verstärkt Todesurteile wegen „Freischärlerei“: Im Zeitraum September 1943 bis Februar 1944 wurden 368 Todesurteile verhängt (Meyer, 244). Die Maßnahmen im „Partisanenkrieg“ wurden radikalisiert. Im Februar 1944 übernahm Stülpnagel den sogenannten Sperrle-Erlass des OB West, der erklärte, in der „Bandenabwehr“ könne es zu harte Maßnahmen gar nicht geben, und schaffte es sogar, diesen Erlass noch zu verschärfen, indem er ausdrücklich darauf hinwies, dass auf Zivilisten und das Völkerrecht keine Rücksicht zu nehmen sei. (Meyer, 129)

Zur „Bekämpfung von Terroristen und Widerstandsgruppen“ erhielt Stülpnagel Anfang 1944 vom OB West befristet Einheiten überlassen. Das Marinegruppenkommando West meldete im Januar 1944: „Wo erforderlich, werden in sofortiger Vergeltung Kollektivstrafmaßnahmen durchgeführt. Hierunter fallen zahlreiche sofortige Erschießungen“ (Meyer, 130) Ein Protest des vorgesetzten MBF hiergegen ist nicht dokumentiert und auch nicht zu erwarten, entspricht dieses Vorgehen doch demjenigen, was Stülpnagel als Chef des AOK 17 selbst gefordert hatte.

Im Zeitraum von Februar bis April 1944 fanden in den Departments Ain, Haute-Savoie und Dordogne die letzten größeren „Bandenbekämpfungsaktionen“ vor der alliierten Invasion statt. Die Einheiten waren dem Kommandanten des Heeresgebietes Südfrankreich unterstellt, der allerdings 1943 dem MBF unterstellt war (Umbreit, 65)) Daher muss dieser zumindest für sein Schweigen angesichts des Vorgehens der Truppen verantwortlich gemacht werden, deren Ziel es war, neben der „Bandenbekämpfung“ auch Arbeitskräfte auszuheben. Wer sich dem Arbeitsdienst zu entziehen suchte, wurde an den SD abgegeben. Die Aktionen mit den Namen „Korporal“ und „Unternehmen Frühling“ waren von größter Brutalität gekennzeichnet, alleine die 157. Sicherungsdivision berichtete von 148 Toten und der Festnahme von 869 „Terroristen und Verdächtige[n]“, dabei wurden Massaker, Plünderungen und Brandstiftungen durchgeführt (Meyer, 133f und 248).

Im Mai 1944 meldete der MBF, es seien „569 Terroristen erschossen, 4463 festgenommen, außerdem 528 Personen dem Arbeitseinsatz zugeführt“ worden.

Literatur:

* Manfred Messerschmidt: Motive der militärischen Verschwörer gegen Hitler, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000, S. 107-118
* Ahlrich Meyer: Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940 – 1944: Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt 2000
* Christian Streit. Angehörige des militärischen Widerstands und der Genozid an den Juden im Südabschnitt der Ostfront, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000, S. 90-106
* Hans Umbreit: Der Militärbefehlshaber in Frankreich 1940-1944, Boppard am Rhein 1968
* Gerd R. Ueberschär (Hg.): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000