Tresckow

Henning von Tresckow gehörte zu den führenden Köpfen der Verschwörung. Über mehrere Jahre hinweg war es im wesentlichen Tresckow, der die Verschwörung zusammenhielt und immer wieder Anläufe zu einem Staatsstreich unternahm. Im Stab der Heeresgruppe Mitte trug er dazu bei, oppositionell eingestellte Militärs unterzubringen.
Am 21. Juli 1944 beging Tresckow Selbstmord.

Vom NS begeistert

Henning von Tresckow war mehr noch als andere Angehörigen der Reichswehr in den ersten Jahren des Nazi-Regimes vom Nationalsozialismus angetan. Dessen Ziele, insbesondere das „nationalsoziale Konzept“ und die Ablehnung des Versailler Vertrags, teilte von Tresckow. 1919 hatte er sich an illegalen Aktionen beteiligt, mit denen Waffen des ehemaligen kaiserlichen Heeres versteckt wurden, um die im Versailler Vertrag vorgesehenen Abrüstungsmaßnahmen zu umgehen (Scheurig 2004, 20f). Eine republikfeindliche und antisemitische Einstellung kennzeichnete auch sein Weltbild. Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre versuchte er seine Umgebung von den Vorzügen der NSDAP zu überzeugen: „Wenn du klug bist, wählst du Hugenberg – wenn du feurig bist, wählst Du Hitler“ (Scheurig 1997, 50).

Tresckows Biograph Bodo von Scheurig berichtet, der im Zusammenhang mit dem Westfeldzug „beabsichtigte Einfall in neutrale Länder erfüllte ihn [Tresckow, F. B.] mit kalter Wut“ ( Scheurig 1997, 89). Dennoch unterstützte Tresckow den sogenannten Sichelschnittplan von Manstein und diente im Feldzug gegen Belgien, die Niederlande und Frankreich im Generalstab der Heeresgruppe A. Seine moralische Empörung über die Verletzung der Neutralität Belgiens und der Niederlande wich zunächst der Empörung über die Führerentscheidung, die deutschen Truppen vor Dünkirchen anzuhalten, wodurch sich das britische Expeditionskorps absetzen konnte. Hier sei eine Gelegenheit verpasst worden, kritisierte Tresckow. Nach dem Sieg über Frankreich stellte Tresckow seine Vorbehalte gegenüber Hitler einstweilen zurück, indem er in die verbreitete Siegeseuphorie einfiel: „Aller Kleinmut, dessen ich mich freudig schuldig bekenne, ist angesichts unserer ungeheuren Erfolge verflogen“ (Scheurig 1997, 101). Bereits im Oktober allerdings war er wieder pessimistisch, was die Siegeschancen des Reiches betraf, weil sich Großbritannien nicht zu einem Frieden bereit fand und der Kriegseintritt der USA absehbar war.

Seit dem 10. Dezember 1940 war Tresckow Erster Generalstabsoffizier (Ia) der Heeresgruppe B (die am 22. 6. 1941 in Heeresgruppe Mitte umbenannt wurde).

Billigung völkerrechtswidrigen Vorgehens

Am 1. Juni 1941 traf dort der „Erlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im ,Gebiet Barbarossa'“ ein (Gerlach 2000, 63). Der Erlass sah die teilweise Aufhebung der Kriegsgerichtsbarkeit vor. Sowjetische Zivilisten, die Widerstandshandlungen verdächtigt wurden, konnten unter Umgehung eines Kriegsgerichtsverfahrens auf Befehl eines Offiziers erschossen werden. Bei Straftaten von Wehrmachtsangehörigen an sowjetischen Zivilisten wurde der Verfolgungszwang aufgehoben. Außerdem wurden kollektive Gewaltmaßnahmen gegen Ortschaften vorgesehen, „falls die Umstände eine rasche Feststellung einzelner Täter nicht gestatten“. (Befehl Faksimile Katalog Gerit, 46-48). Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B GFM von Bock, empörte sich, der Befehl gebe „jedem Soldaten das Recht […], auf jeden Russen, den er für einen Freischärler hält – oder zu halten vorgibt – von vorne oder von hinten zu schießen“. (zit. nach Gerlach 2000, 63)

Von Tresckow versuchte den OB zu bewegen, den Protest persönlich bei Hitler vorzutragen, wozu es aber nicht gekommen ist. Die Heeresgruppe gab den Befehl schließlich weiter, nachdem sie ihn mit Erläuterungen versehen hatte, die zumindest der OB als Entschärfung verstanden hat. Sachlich ist diese Einschätzung nicht zu teilen: Der Tenor des Führerbefehls blieb erhalten, geringfügige Entschärfungen wurden durch den Umstand konterkariert, dass eine Partisanentätigkeit nun schon durch den Umstand „nachgewiesen“ wurde, dass der Beschuldigte mit einem „gefährlichen Werkzeug“ hantierte. Ausdrücklich wurde erklärt: „Der Artikel II der Haager Landkriegsordnung [Recht der Zivilbevölkerung eines überfallenen Landes auf Selbstverteidigung, F. B.] findet bei dem kommenden Einsatz keine Anerkennung.“ (Vernichtungskrieg 1996, S. 139).

Anders als im Falle des sogenannten Kriegsgerichtsbarkeitserlasses löste der am 13. Juni 1941 eintreffende Kommissarbefehl keine derartigen Proteste aus. Der Befehl wurde von der Heeresgruppe umstandslos an die unterstellten Einheiten weitergegeben. (Gerlach 2000, 65) Dem Befehl zufolge wurden Politische Kommissare der Roten Armee nicht als Kriegsgefangene anerkannt. „Sie sind aus den Kriegsgefangenen sofort, d. h. noch auf dem Gefechtsfelde, abzusondern […] Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.“ (Faksimile in Verbrechen der Wehrmacht 2002, 52f, Hervorhebung im Original). Zivile Kommissare sollten, „auch wenn sie nur des Widerstandes, der Sabotage oder der Anstiftung hierzu verdächtig sind“, ebenfalls sofort erschossen werden, alle anderen Kommissare von den Sonderkommandos überprüft werden. Insbesondere die Anweisungen zur sofortigen Erschießung verstießen eindeutig gegen das Völkerrecht.

Als Ia der Heeresgruppe hatte Tresckow nicht selbst Befehlsgewalt – theoretisch zumindest. Zu den Aufgaben des Ersten Generalstabsoffiziers gehörten die Konzipierung operativ-taktischer Angelegenheiten, die Bearbeitung von Befehlsentwürfen, Meldungen und Berichten (Scheurig 1997, 120). Tatsächlich übernahm Tresckow allerdings offensichtlich des öfteren selbst die Führung der Heeresgruppe, wozu das vertrauensvolle Verhältnis zum Oberbefehlshaber, der sein Onkel war, beigetragen haben mag.

Dass Tresckow andere als militärfachliche Bedenken gegen den Angriff auf die Sowjetunion hatte, ist nicht überliefert. Am ersten militärischen Einsatz gegen die Sowjetunion war er noch vor Eröffnung des Feldzuges beteiligt: Am Einsatz der Diversions-Einheit „Brandenburg“ gegen die Bugbrücke in Brest. Die „Brandenburg“ war eine Einheit zbV, die gewöhnlich dem Amt Abwehr des OKW unterstellt war. Am 21. Juni 1941 wurden Angehörige dieser Division in sowjetische Uniformen gesteckt und töteten die sowjetischen Wachmannschaften auf der Brücke. Der erste Einsatz, für den Tresckow im Krieg gegen die SU mitverantwortlich war, war zugleich auch der erste, bei dem geltendes Kriegsrecht gebrochen wurde. Neben Tresckow war an der Organisation dieses Einsatzes maßgeblich von Gersdorff beteiligt, der als Ic der Heeresgruppe für Aufklärung und Abwehr verantwortlich war und der Verschwörung angehörte.

Beteiligung an der „Partisanenbekämpfung“

Besonders kritisch muss Tresckows Tätigkeit im Hinblick auf die „Partisanenbekämpfung“ bewertet werden. Durch die Führerweisung Nr. 46 vom 18. August 1942 wurde die Verantwortlichkeit für die Partisanenbekämpfung den Ia der jeweiligen Dienststellen übertragen.
Tresckow kam dabei in der Regel mehr die Aufgabe einer Aufsichtsfunktion zu als die tatsächliche, konkrete Planung. Die Operationsführung wurde meist durch die Befehlshaber der rückwärtigen Armee- und Heeresgebiete übernommen, in Abstimmung mit dem Ic. In einzelnen Fällen ist allerdings eine direkte Verantwortlichkeit Tresckows zu konstatieren, so etwa, als er sich an der Planung eines Racheeinsatzes gegen die Ortschaft Slawnoje beteiligte. Auf die dortige Eisenbahnstation war ein Sabotageakt verübt worden. Die 286. Sicherungsdivision ging mit dem Vorsatz in die Ortschaft, dort blutige Rache zu nehmen – ein Vorsatz, über den Tresckow informiert war, gegen den er aber keinerlei Schritte unternommen hat. Dem Einsatz fielen 100 Menschen – „Angehörige von Partisanen“ – zum Opfer, die mit Maschinengewehren erschossen wurden. (Gerlach 1999, 1108)

Verantwortlich ist Tresckow auch dafür zu machen, dass er sich für die komplette Zuführung der SS-Kavalleriebrigade in seinen Zuständigkeitsbereich einsetzte. Diese Einheit hatte im Juli und August 1941 im Polesje einen Vernichtungskampf geführt, den Gerlach als „Vorstufe der Partisanenbekämpfung in Form eines präventiven Massenmords“ bezeichnet (Gerlach 1999, 558, auch 555-566 und 607-609.) Zehntausende von Juden wurden von ihr ermordet, weitere Tausende „zusammengetrieben“ und anderen Vernichtungskommandos überlassen. Tresckow hatte von diesen Verbrechen Kenntnis, als er die Brigade anforderte. Im Dezember 1942 ließ er sie zur Partisanenbekämpfung im Raum zwischen Smolensk und Witebsk einsetzen. Über das – wenig überraschende – Ergebnis informierte ihn der Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes: „[…] sämtliche Einwohner einiger Ortschaften einschließlich Frauen und Kinder erschossen“ (Gerlach 1999, 1108). Noch als Generalstabschef der 2. Armee setzte Tresckow die nunmehrige SS-Kavalleriedivision zur Partisanenbekämpfung ein. (ebda)

Neben solchen operativen Maßnahmen war Tresckow die zentrale Anlaufstelle im Generalstab der Heeresgruppe für die Einreichung und Weiterleitung von Vorschlägen, wie die Partisanenbekämpfung effektiver gestaltet werden könnte. Solche Vorschläge kamen sowohl von Heeresgruppeninstanzen als auch von unterstellten AOKs.

Ein solcher Vorschlag wurde beispielsweise am 23. Juni 1943 vom Kommandeur des Kavallerie-Regiments Mitte, Major Georg Freiherr von Boeselager, eingereicht. Dem Major, der zum engeren Kreis der militärischen Verschwörung gehörte, ging es um die Optimierung des Konzepts „toter Zonen“. Sein Konzept sah unter anderem vor, im „bandengefährdeten Gebiet“ alle Männer „sofort“ zu erschießen oder (!) gefangen zu nehmen. „Aus dem bandenverseuchten Gebiete müssen alle Männer weggeschafft werden“, so der Vorschlag weiter. Nach der Räumungsaktion angetroffene Männer seien zu erschießen (Gerlach 1999, 1028f). Dieser Vorschlag ging weit über das hinaus, was im OKW, dem RSHA und dem Führerhauptquartier beabsichtigt war.
Henning von Tresckow, dem das Konzept zuständigkeitshalber zugeleitet wurde, hätte es problemlos unter den Tisch fallen lassen können. Als Leiter der Führungsabteilung stand er mehrere Ränge über dem Major, so dass er mit einer Rückfrage, was aus dem Konzept geworden sei, kaum zu rechnen brauchte. Und selbst wenn, hätte er unschwer eine Menge Gründe angeben können, weshalb dieses Konzept keine Förderung verdiene: etwa die auch sonst gerne angeführten Bedenken hinsichtlich der Disziplin der Truppe, außerdem die wirtschaftliche Notwendigkeit von Zwangsarbeitern, die es wenigstens einigermaßen anständig zu behandeln gegolten hätte usw.
Von Tresckow hielt das Konzept jedoch nicht zurück, sondern leitete es an mehrere Dienststellen sowohl in der Heeresgruppe als auch im OKH sowie an die AOKs und den Berück. Dabei ließ er wissen, die Vorschläge Boeselagers hinsichtlich der Behandlung der Zivilbevölkerung in bandengefährdeten bzw. -verseuchten Gebieten „verdienen besondere Beachtung“. (Gerlach 1999, 1029f)

Dass Tresckow „aus fester antibolschewistischer Grundeinstellung“ heraus (Ueberschär) die Partisanenbekämpfung für ein selbstverständliches militärisches Erfordernis gehalten und der brutalen, völkerrechtswidrigen Praxis der Partisanenbekämpfung nicht nur nicht entgegenstand, sondern sie ausdrücklich befürwortete – (Ueberschär, Elite, 256-262, hier 259)., zeigt auch die – unkommentierte – Weiterleitung eines Erfahrungsberichts über die „Bandenbekämpfung“, die im April 1943 von der 2. Armee eingereicht wurde, und in der es hieß: „Bei Vernehmung von Banditen, auch Frauen, sind alle Mittel anzuwenden“. Diese Aufforderung zur rücksichtslosen Folter wurde von Tresckow ans OKH weitergeleitet mit dem Zweck, dessen „Kampfanweisung für die Bandenbekämpfung im Osten“ zu verbessern (Gerlach 1999, 873)

Verbrechen bis zuletzt

Im weiteren Kontext der deutschen Vernichtungspolitik, die zumal in der Rückzugsphase zu einer Politik der verbrannten Erde wurde, muss Tresckows Rolle als Generalstabschef der 2. Armee gesehen werden. Dieses Amt hatte er am 2. 12. 1943 übernommen. Die Deportation von Zwangsarbeitern ins Reichsgebiet wurde zur Aufrechterhaltung der Produktion immer notwendiger. Noch im April 1944, also nur weniger Monate vor dem Attentat, hielt Tresckow in einem Befehl fest, dass Arbeitsfähige, die sich dem Transport ins Reichsgebiet entziehen wollten, „als bandenverdächtig anzusehen“ seien. (Gerlach 1999, 499) Angesichts des Umgangs der Wehrmacht mit Partisanen war das ein faktisches Todesurteil.

Das Armeeoberkommando (AOK) 2 beteiligte sich ebenfalls an der Praxis, die Bevölkerung aus frontnahen Gebieten frühzeitig abzutransportieren, um einerseits der deutschen Wirtschaft Arbeitskräfte zu sichern und, wichtiger noch, dem Feind keine Arbeitskräfte in die Hände fallen zu lassen. In den von Tresckow gezeichneten Durchführungsbestimmungen vom 27. Mai 1944 war vorgesehen, bis auf „Frauen und nicht mehr wehrfähige Männer“ alle anderen abzutransportieren. Dass die weibliche und männliche, arbeitsunfähige Bevölkerung in dafür „vorgesehenen Räumen“ bleiben könne, hatte seinen Grund darin, dass „nutzlose Esser […] dem Feind zu überlassen“ seien (Gerlach 1999, 1097). („Restfamilien“)

Am 28. Juni 1944 unterschrieb Tresckow einen Befehl, der vorsah, „Jungen und Mädchen im Alter von 10 bis 13 Jahren“, die bei „Bandenunternehmen“ elternlos aufgegriffen wurden, „ins Reich abzuschieben.“ Damit wollte das AOK 2 in seinem Bereich die HEU-Aktion unterstützen, bei der heimat-, eltern- und unterkunftslose Kinder/Jugendliche zur Zwangsarbeit ins Reichsgebiet verschleppt werden sollten. Mit der Aktion sollte auch eine „Minderung [der] biologischen Kraft“ der Sowjetunion erreicht werden. (Gerlach 1995, 439f.)

Literatur:

* Christian Gerlach: Männer des 20. Juli und der Krieg gegen die Sowjetunion, in: Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Hamburg 1995, S. 427-446
* ders.: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland 1941-1944, Hamburg 1999
* ders: Hitlergegner bei der Heeresgruppe Mitte und die „verbrecherischen Befehle“, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000
* Bodo Scheurig: Henning von Tresckow. Ein Preuße gegen Hitler, Berlin 2004-06-30
* ders.: Henning von Tresckow. Ein Preuße gegen Hitler. Biographie, Frankfurt am Main 1997
* Gerd R. Ueberschär: Hitlers militärische Elite, Band 2, Darmstadt 1998
* Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Ausstellungskatalog, Hamburg 1996
* dass: Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944, Hamburg 2002