Wagner

Eduard Wagner hatte als Generalquartiermeister des Heeres entscheidenden Anteil an der logistischen Planung der deutschen Eroberungskriege. Insbesondere war er für die Sicherung des Nachschubs verantwortlich, außerdem unterstand ihm im Bereich des Operationsgebietes des Heeres das Kriegsgefangenenwesen (Streit, 67). Er hatte sowohl in der Früh- wie auch in der Endphase des Krieges Kontakte zur Opposition und stellte Stauffenberg das Flugzeug, mit dem dieser am 20. Juli 1944 vom Führerhauptquartier nach Berlin flog. Am 23. Juli 1944 beging Wagner Selbstmord.

„Dem Führer allein gebührt der Ruhm“

Die von seiner Witwe herausgegebenen Briefe und Tagebuchaufzeichnungen Wagners lassen keinen Zweifel daran, dass Wagner von Anfang an ein entschiedener Gegner der Weimarer Republik war und keinen Moment in Frage stellte, dass das Deutsche Reich berechtigt war, für seine Interessen in den Krieg zu ziehen. Im April 1919 stieß Wagner zu einem Augsburger Freikorps, um gegen die Münchner Räteregierung eingesetzt zu werden, der dann allerdings nicht erfolgt ist. Mehrfach äußerte er seinen Wunsch nach einem Diktator: „Und heiß wünscht man sich den Tag, wo dem deutschen Volk endlich einmal der Diktator wird, mag er Ludendorff oder Noske heißen“ (GenQu 31). Die am 14. 10. 1919 ihm abverlangte Vereidigung auf die Weimarer Verfassung hinterließ ihn ratlos: „Es ist mir nun unklar, auf was ich mich eigentlich gebunden habe“ (GenQu 40). Von der Vereidigung auf Hitler am 2. August 1934 schrieb er: „Allgemein herrscht eine recht bedrückte Stimmung. Man muss eben hoffen“ (GenQu 67), allerdings ist hier nicht eindeutig, ob die „bedrückte Stimmung“ dem Tod des von ihm verehrten Hindenburg oder der persönlichen Eidbindung an Hitler zu schulden ist.

Unmittelbar vor dem Überfall auf Polen, am 31. 8-. 1939, schrieb er: „Mit den Polen glauben wir rasch fertig zu werden und wir freuen uns offen gestanden darauf. Diese Sache muss bereinigt werden“ (GenQu 109, Hervorhebung im Original)

Schon bald nach dem Sieg über Frankreich – „[…] dem Führer allein gebührt der Ruhm“ (GenQu 183) – begann er mit den Vorbereitungen dafür, die Versorgung für den Überfall auf die Sowjetunion vorzubereiten. (GenQu 197). In diesem Feldzug gab es kaum ein Verbrechen, in das „Wagner persönlich und seine Stabsstelle nicht verwickelt gewesen“ wäre, so Gerlach (Gerlach 1114).

Dies gilt vor allem für zwei Bereiche: Zum einen die Mordpolitik gegenüber Hunderttausenden sowjetischer Kriegsgefangener, zum anderen die Unterstützung der SS-Einsatzgruppen.

Mord an Kriegsgefangenen

Als GenQu war Wagner auch für die Ernährung der Kriegsgefangenen verantwortlich. Die Behandlung der Kriegsgefangenen war allerdings ein Bestandteil der deutschen Strategie des Vernichtungskrieges: So wie der Hungertod von Millionen von SowjetbürgerInnen nicht nur in Kauf genommen werden sollte, sondern ausdrücklich gewollt war, so war auch eine ausreichende Ernährung der sowjetischen Kriegsgefangenen von Anfang an nicht gewollt.
In einem Kriegsspiel vom Februar 1941 ging Wagner davon aus, dass der Nachschub an Lebensmitteln aus dem Reichsgebiet nicht notwendig sei. „Das weißrussische Gebiet, das ohnehin für die Kriegswirtschaft weniger wichtig ist, kann rücksichtslos den Zwecken der Operation nutzbar gemacht werden“. (Gerlach 72). Diese Planungen schlossen sich nahtlos an den Hungerplan gegen die sowjetische Zivilbevölkerung an. Was Wagner betrifft, gab es „zu viele“ Kriegsgefangene.

Dass deren Versorgung möglich gewesen wäre, muss auch angesichts der großen Zahlen außer Zweifel stehen: Im Krieg gegen Frankreich wurden im gleichen Zeitraum mehr Gefangene gemacht als in der Sowjetunion.

Eine ausreichende Versorgung der Kriegsgefangenen in Frontnähe war unter den von den Deutschen geschaffenen Bedingungen indes kaum zu gewährleisten, da selbst die Versorgung der Wehrmachtstruppen dem GenQu immer mehr Schwierigkeiten bereitete. Nach Wagners Auffassungen konkurrierte die Versorgung der Gefangenen mit der Versorgung der Wehrmacht bzw. deren Anspruch, möglichst rasch „vorwärts“ zu stürmen. Der Vormarsch der Wehrmacht hatte dabei für Wagner unbedingte Priorität, was er am 21. Oktober 1941 in der Formulierung ausdrückte, die Einheitsführer müssten sich bewusst sein, „dass jedes Verpflegungsmittel, das dem Kriegsgefangenen zu Unrecht oder zuviel gewährt wird, den Angehörigen in der Heimat oder dem deutschen Soldaten abgezogen werden muss“ (Gerlach 799).

Den Abschub der Kriegsgefangenen per Eisenbahn ins rückwärtige Heeresgebiet, ins besetzte Polen oder ins Reichsgebiet gestatte Wagner nur, wenn dadurch keine Verzögerung in den anderen Transportbewegungen entstünde (Gerlach 792), außerdem ordnete er an, dass ausschließlich offene Güterwagen benutzt werden dürften. Diese Anordnung blieb bis 22. November 1941 in Kraft und hatte zur Folge, dass Tausende von Gefangenen erfroren: Sei es während des Transportes, sei es durch den Umstand, dass überhaupt kein Abtransport erfolgte und sie in Durchgangslagern blieben, die in keiner Hinsicht über die notwendigen Baracken und Heizmöglichkeiten verfügten.

Häufig wurden den Gefangenen, da der Bahntransport nur sehr eingeschränkt erfolgte, Fußmärsche von bis zu 50 Kilometern täglich abverlangt – häufig abseits befestigter Wege, die der Wehrmacht vorbehalten blieben, und in aller Regel ohne ausreichende, häufig auch überhaupt ohne Verpflegung. Wer nicht weiter konnte, wurde erschossen.

Die Mordpolitik an den Gefangenen wurde vom GenQu nicht bekämpft, sondern ausdrücklich mitgetragen. Bereits am 24. Juli sprach er sich für eine „scharfe Trennung […] zwischen arbeitenden und nicht arbeitenden Kriegsgefangenen“ aus (Gerlach 799). Anlässlich einer Besprechung aller an der Ostfront eingesetzten Heeresgruppen und Armeen hielt er einen Vortrag, den der Chef des Generalstabs der 18. Armee mit folgender Notiz zusammenfasste: „Nicht arbeitende Kriegsgefangene haben zu verhungern“ (Gerlach 801)
Bis zum 1. Februar 1942 waren 60 Prozent von bis dahin 3,3 Millionen KG tot (Peters, 266).

Im Nachlass Wagners finden sich auch Aufzeichnungen, die eine gewisse Distanz zur Vernichtungspolitik der Einsatzgruppen ausdrücken. Von einem „Kampf mit dunklen Mächten“ (GenQu 137) hatte er bereits 1939 in Polen berichtet, am 20. September 1941 schrieb er, er sei froh, „dass wir diesmal mit den ganzen politischen Dingen nichts zu tun haben […] wo so viel weltanschauliche Fragen eine Rolle spielen“ (GenQu 201).

Eine Oppositionspolitik gegen das Wüten der Einsatzgruppen kann man Wagner allerdings nicht zuschreiben, er hat sich vielmehr darum bemüht, diese Mordpolitik in klare administrative Zuständigkeiten zu fassen und zu vermeiden, dass militärische Erfordernisse vom unkontrollierten Treiben der SS- und Ordnungspolizeitruppen beeinträchtigt werden konnten. Wagner war maßgeblich am Zustandekommen der Erlasse über die Zusammenarbeit des Heeres mit den Einsatzgruppen beteiligt. Dazu stand er ab dem 13. März 1941 in Verhandlungen mit dem Chef RSHA Heydrich, die bereits Ende. März zum Abschluss gekommen waren, das Abkommen wurde am 28. 4. 41 vom OBdH Brauchitsch unterzeichnet. Dieses Abkommen gestattete es der SS noch nicht, eine unbegrenzte Vernichtungspolitik durchzuführen. In den rückwärtigen Armeegebieten sollten die Sonderkommandos keine Exekutivkompetenzen gegen über der Zivilbevölkerung erhalten, sondern nur für die „Sicherstellung“ von Schriftgut und „besonders wichtiger Einzelpersonen (Führende Emigranten, Saboteure, Hetzer usw.)“ zuständig sein( zur Genese vgl. Streit, 31ff, der wortgleiche Befehl des ObdH abgedruckt in Wette/Ueberschär 249f), in den rückwärtigen Heeresgebieten sollte sich die Einsatzkommandos auf die Bekämpfung „staats- und reichsfeindlicher Bestrebungen“ beschränken – was zwar ein dehnbarer Begriff war, aber nicht als pauschaler Freibrief zu verstehen war.

In der Praxis freilich nahm sich die SS von Anfang an mehr „Rechte“ heraus, wobei sie nur selten auf Widerstand von Wehrmachtsführern stieß. Am 28. 8. 1941 wurden die Kompetenzen der SS schließlich erweitert, abseits der Rollbahnen und außerhalb der Frontnähe hatte sie nun freie Hand.

Literatur:

* Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, Bonn 1991
* Elisabeth Wagner (Hg.): Der General-Quartiermeister: Briefe und Tagebuchaufzeichnungen des Generalquartiermeisters des Heeres General der Artillerie Eduard Wagner, München 1963.
* Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland 1941-1944, Hamburg 1999
* Roland Peter: General der Artillerie Eduard Wagner, in: Gerd R. Ueberschär: Hitlers militärische Elite, Band 2, Darmstadt 1998, S. 263-269
* Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette (Hrsg.): Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. „Unternehmen Barbarossa“ 1941, Frankfurt am Main 1997