Gelöbnisgeschichte

Gelöbnisgeschichte: Heilige Schwerter und andere Reliquien

Gelöbnisse sind nicht von der Bundeswehr erfunden worden: Treueschwüre haben eine Jahrtausende alte Tradition und basieren auf heidnisch-spirituellen Wurzeln. Schon die alten Germanen kannten Vereidigungszeremonien, die in der Regel aus Zauberriten entstanden waren. So wie heute die Truppenfahne angefasst wird, ging es auch damals nicht ohne die Zuhilfenahme eines heiligen Gegenstandes, damals entweder eines Schwerts, eines Heiligenschreins, später einer Bibel, eines Kreuzes. Irgendetwas musste jedenfalls im wahrsten Wortsinn zur Hand sein, damit der Treueschwur nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern ein Schwur „mit Mund und Hand“ war. Mit der Berührung dieses Gegenstandes ging der Schwörende gleichsam einen Bund mit der höheren Macht ein: mit den Naturgewalten, Wotan, Zeus, Gott oder wer sonst gerade angesagt war.

Das Ganze wurde dabei immer von jemandem überwacht, der mit der höheren Macht ohnehin etwas zu schaffen hatte, bei den Germanen also Priester, Druiden, Hexenmeister. Umso eindrücklicher war für die Schwörenden, dass ihr aufzusagendes Sprüchlein ernstzunehmen war: Das Moment der bedingten Selbstverfluchung spielt bei Treueschwüren seit jeher eine wichtige Rolle. Der Schwörende gibt sich für den Fall, dass er seinen Eid verletzt, der Verdammnis, der göttlichen Rache anheim. Zu Zeiten starken Aberglaubens bzw. hoher Frömmigkeit ein wirkungsvolles Instrument. Von den Kelten ist aus dem Jahr 335 v. u. Z. überliefert, womit sie sich selbst verfluchten: ,,Wir wollen Treue halten, oder aber der Himmel möge nieder stürzen und uns zerschmettern, die Erde sich öffnen und uns verschlingen, das Meer sich erheben und uns ersäufen.“ (1)

Die Selbstverfluchung wurde nicht immer deutlich ausgesprochen, war aber unter der Regie des Christentums beispielsweise im Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ stets enthalten: Wenn der Schwörende seinen Eid verletzt, brauche der zum Zeugen angerufene Gott dem Meineidleistenden auch nicht mehr zur ewigen Seeligkeit zu verhelfen. Ein hübsches Beispiel für eine säkularisierte Form der Selbstverfluchung enthielt der Eid der NVA: Die Volksarmisten beteuerten, für den Fall des Eidbruchs solle sie die „Verachtung des werktätigen Volkes“ treffen.

Die Inpflichtnahme von Kämpfern durch den Eid zieht sich durch die Jahrtausende und durch die Kulturen, es gab sie im klassischen Griechenland, in Rom, zur Zeit der Völkerwanderungen. Im aufkommenden Feudalismus wurde der Bund des Vasallen (Lehnsmann) nicht mit dem König oder Fürsten, sondern nur mit dem Lehnsherrn geschlossen, die militärische Tätigkeit blieb ansonsten Rittern als quasi-Berufssoldaten überlassen. Auch ab dem 12. Jahrhundert, als die Ritterheere nach und nach durch Söldner- bzw. Landsknechtheere abgelöst wurden, handelte es sich beim Eid um eine privatrechtliche Abmachung zwischen Kriegsherr und Landsknecht/Söldner. Diese wurden auf die „Artikelsbriefe“ eingeschworen. Ein direkter Zugriff des Monarchen auf die Schwörenden erfolgte erst mit der Aufstellung stehender Heere, denen die aus den Artikelsbriefen hervorgegangenen „Kriegsartikel“ vorgehalten wurden. Diese regelten das Nähere und mündeten schließlich in die Soldaten- und Wehrstrafgesetze der heutigen Zeit. Das Vertragsverhältnis wurde allmählich in den größeren Zusammenhang der Nation, des Volks bzw. der Klasse gestellt.

Kaiser, Verfassung und Volk

Im 19. Jahrhundert setzte sich die Tendenz durch, den Eid zu präzisieren und den Herrscher namentlich zu erwähnen. Das hieß natürlich auch, nach jedem Herrscherwechsel alsbald eine Neuvereidigung vorzunehmen. Dies ging einher mit der Einführung der Wehrpflicht, durch welche die alten privatrechtlichen Abmachungen endgültig in ein per Gesetz definiertes Untertanenverhältnis gegenüber dem Monarchen umgewandelt wurden. Kaiser Wilhelm II hat 1891 deutlich erklärt, was das bedeutet: „Ihr habt mir Treue geschworen, das heißt, ihr seid jetzt meine Soldaten, ihr habt euch mir mit Leib und Seele ergeben“. (2) Den Liberalen im deutschen Bürgertum passte das zwar nicht, da sie aber das ganze 19. Jahrhundert über praktisch nichts zu sagen hatten, gelang es ihnen nur während der Revolutionswirren 1848/49, die Armeen einiger deutscher Länder auf eine Verfassung vereidigen zu lassen. Das wurde dann flugs wieder rückgängig gemacht.

1918 war es mit der Bindewirkung des Eids auf Wilhelm schließlich vorbei, der Kaiser ging ins Exil, nicht ohne den Soldaten Bescheid geben zu lassen, sie seien nun aus dem Eid entlassen. Die Reichswehr der Weimarer Republik wurde daraufhin tatsächlich auf die Verfassung eingeschworen. Bekanntlich waren es vor allem die Bayern, welche der Reichsverfassung sowie der Berliner Regierung nicht über den Weg trauten, vor allem war es ihnen ein Gräuel, dass die Reichsregierung bayerische Truppen in die Pflicht nehmen konnte. Der Eid auf die Reichsverfassung wurde daher bereits 1923 durch den Eid auf die Verfassung des „Heimatlandes“ ergänzt. Welche von beiden Verfassungen bei einem Konflikt Vorrang haben sollte, wurde nie geklärt.

Nach der Machtübergabe an die NSDAP war das Intermezzo beendet, an Stelle der Verfassung wurde die Armee nun auf „Volk und Vaterland“ vereidigt. Doch auch das währte nicht lange, ab August 1934 hieß es dann, „dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler […] unbedingten Gehorsam zu leisten“. Der unbedingte Gehorsam war ein Novum, ebenso wie die Tatsache, dass der Eidbruch als solcher unter Strafe stand. Bis 1934 (und auch nach 1945 wieder) kam dem Eid selbst keine juristische Bedeutung zu; bestraft wurden zwar Vergehen wie Befehlsverweigerung und Fahnenflucht, aber ein Delikt namens Eidbruch, gar mit der Folge der Todesstrafe, hatte es niemals zuvor gegeben.

Deutsche Nachkriegseide

Bedenken, nach dem „Missbrauch“ des Eides durch die Nazis auch Bundeswehrsoldaten Treue schwören zu lassen, wurden in der BRD schon nach kurzer Zeit wieder fallengelassen. Als Zugeständnis an die neue Zeit wurde allerdings erstmals eine Trennung in Eid (für Berufssoldaten) und Gelöbnis (für Wehrpflichtige) vorgenommen. Juristisch haben sie beide nichts zu besagen, aber für „spirituelle“ Menschen ist ein Gelöbnis offenbar weniger wertvoll als ein Eid. Interessant ist, dass ein Entwurf der Bundesregierung 1956 noch vorsah, die Soldaten auf das Grundgesetz schwören zu lassen. Der Plan wurde jedoch fallengelassen – schließlich ist das Grundgesetz immer nur als Provisorium angesehen worden. Laut Stein wurde die Treue zur Verfassung zudem „als selbstverständlich vorausgesetzt“. (3) Bis heute sind es also die BRD und „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes“, die es tapfer zu verteidigen gilt. Ein Vergleich mit früheren Formulierungen ergibt schnell, dass der BRD-Eid enge Überschneidungen mit dem Eid der Reichswehr von 1933/34 hat.

Die Angehörigen der NVA hatten nach 1961 einen sehr umfangreichen Text mit einer Vielzahl von Verpflichtungen nachzusprechen: Nicht nur dem Vaterland, auch dem Sozialismus, der Sowjetunion, nicht zu vergessen der Arbeiter- und Bauern-Regierung und einigem mehr galt es die Treue zu halten. Die Bausoldaten hatten einen kürzeren Text, der ihnen die Arbeiter- und Bauern-Regierung ersparte – über die Gründe dafür könnte hier nur gemutmaßt werden. Das Nachdenken wurde nicht nur implizit, wie in der Bundeswehr, sondern explizit verboten, denn es galt wiederum „unbedingten Gehorsam“ zu schwören.

Germanenschwerter zu Offizierssäbeln: Veränderung der Zeremonieformen

Die Formen der Treueschwüre haben sich im Lauf der Jahrtausende zwar verändert, die anfangs erwähnten heidnisch-spirituellen Quellen sind aber stets sichtbar geblieben. Das heilige Germanenschwert wurde abgelöst durch christliche Symbole, welche wiederum durch Hoheitszeichen des Staates ersetzt wurden. In der Neuzeit war es verstärkt die Fahne, die in die Hand genommen wurde, es konnte jedoch auch Militärgerät sein: Artillerieeinheiten fassten ein Geschütz an, ansonsten war der Offizierssäbel ein beliebtes Reliquium. Bei der Reichswehr sowieso, die hatte nämlich keine Truppenfahnen. Erst die Nazis führten sie 1936 wieder ein, die Bundeswehr übernahm (nicht nur) diese Traditionslinie (was übrigens auch für die NVA gilt).

Aus den Hexenmeistern von früher sind christliche Priester und Pfarrer geworden, die bei Vereidigungen den Soldaten auf den Mund schauten. Bis ins 20. Jahrhundert war ihre Anwesenheit genauso üblich wie die Anrufung Gottes bei den verschiedensten Schwurtexten. Angehörige anderer Religionen hatten in der Regel die Möglichkeit, individuell in Anwesenheit ihres jeweiligen Glaubensvertreters zu schwören. Selbst in der heutigen säkularisierten Zeit rufen Bundeswehrsoldaten noch Gott an – allerdings nur Berufssoldaten beim Eid, nicht Wehrpflichtige beim Gelöbnis, und nur freiwillig. Dass auch der gottlose Eid der NVA nichts wesentlich anderes darstellte, wird aus dem Schwurtext hinreichend deutlich, die Arbeiterklasse und der Sozialismus hatten sich einfach nur an Gottes Stelle gesetzt.

Öffentlich?

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Vereidigungen fast ausschließlich nicht-öffentlich durchgeführt. Im späten 19. Jahrhundert bezog das Heer nur ausnahmsweise auf öffentlichen Plätzen Stellung, einige Male wurde beispielsweise der Berliner Schlossplatz in Anspruch genommen. Ansonsten fanden Vereidigungen in Kasernen statt und waren eine reichlich schlichte Veranstaltung. Eine erste Aufwertung nahm die Reichswehr 1927 vor; da man militärisch eine Nullnummer war, sollte es wenigstens etwas feierlich sein: Musik und ein Ehrenzug waren mit dabei. Den größten „Modernisierungsschub“ leiteten dann allerdings die Nazis ein. Die bisherige Zurückhaltung wurde aufgegeben und ab 1934 der „Weg in die Öffentlichkeit beschritten“. (4) Vereidigungen fanden nun öfter als früher im öffentlichen Raum statt, außerdem ermöglichte es die Wehrmacht den Angehörigen der Soldaten, bei der Vereidigung in der Kaserne anwesend zu sein. 1936 wurde die Zeremonie ein weiteres Mal aufgewertet, regelmäßig war nun eine „Vereidigungsparade mit Spielmannszug und Musikkorps“ mit von der Partie, damit die Veranstaltung auch gemütlich wird.

Das ist die Form öffentlicher Gelöbnisse, die auch von der Bundeswehr bevorzugt wird: Meistens in der Kaserne, unter Anwesenheit von Zivilisten, oftmals aber auch in der Öffentlichkeit, und mit Pauken und Trompeten. Die Gelöbnisoffensive, die Volker Rühe 1998 gestartet hat und die von Scharping in veränderter Form fortgeführt wird, bedeutet eben nicht, wie oft behauptet, einen Rückfall in den preußischen Militarismus – es ist vielmehr der Nationalsozialismus, der hier Pate steht.

Damit soll hier nicht einer „demokratisierten“ Form von Gelöbniszeremonien das Wort geredet werden. Das Nachdenken über weitere Modernisierungsschritte der Angriffsarmee Bundeswehr können wir getrost den zuständigen Leuten von SPD, Grünen und PDS überlassen. Egal, welche Formulierungen Militärs benutzen, mörderisch sind sie allemal.

Frank Brendle

(1) Alexander Demandt, Die Kelten, 2. Auflage München 1999, S. 23.
(2) Zit. nach Hans-Peter Stein, Symbole und Zeremoniell in deutschen Streitkräften vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Herford und Bonn 1984, S. 102
(3) Ebda., S.93
(4) Ebda,. S. 96