Traditionspflege der Bundeswehr
Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten
Jürgen Rose, 09.07.2004
TRADITIONSPFLEGE DER BUNDESWEHR
Neben Graf Schenk von Stauffenberg wird auch Hitlers Fliegeridol Werner Mölders weiterhin geehrt – der 60. Jahrestag des 20. Juli 1944 wird daran nichts ändern
Dass die Armee der Bonner Republik Anfang der fünfziger Jahre von Angehörigen der Wehrmacht aufgebaut wurde, stellt einen irreversiblen Geburtsmakel dar. Keine zehn Jahre zuvor hatte diese Wehrmacht noch für den Nazi-Staat mit preußischer Disziplin den „ungeheuerlichsten Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg“ geführt, „den die moderne Geschichte kennt“, wie der Historiker Ernst Nolte 1963 anmerkte. Dessen ungeachtet wurde schon bei der Planung der Bundeswehr im Jahre 1950 eine generelle Rehabilitierung des deutschen Soldaten – sowohl der Wehrmacht als auch der Waffen-SS – gefordert.
Urheber dieses Ansinnens waren einst hochrangige Wehrmachtsoffiziere. 15 dieser Herren, darunter zehn Generäle und Admirale, kamen 1950 im Eifelkloster Himmerod zusammen, um den militärischen Grundkonsens für eine deutsche Wiederbewaffnung im Kalten Krieg zu definieren. Mit der „Denkschrift des militärischen Expertenausschusses über die Aufstellung eines Deutschen Kontingents im Rahmen einer übernationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas“ schrieben sie die Gründungsakte der Bundeswehr. Als Preis für ihr Mittun verlangten sie einen Persilschein für Hitlers Waffenträger, das hieß: als Kriegsverbrecher verurteilte Deutsche sollten – soweit sie nur auf Befehl gehandelt hatten – freigelassen und schwebende Verfahren eingestellt werden. Außerdem verbat man sich jede Diffamierung des deutschen Soldaten, einschließlich der Angehörigen der Waffen-SS.
Solch Chuzpe hatte Erfolg: Bundeskanzler Adenauer wie auch der NATO-Oberbefehlshaber und spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower beugten sich der Erpressung und gaben eine Ehrenerklärung für den deutschen Soldaten und das Offizierkorps ab. Inhalt: Der deutsche Soldat habe tapfer und ehrenhaft für seine Heimat gekämpft. Unerwähnt blieb, ob zu den Schauplätzen dieses vorgeblich so heldenmütigen Kampfes auch Stalingrad, Oradur, Babi Jar, Kalavrita, Lidice oder Maidanek zu rechnen waren.
Vor diesem Hintergrund konnte es kaum überraschen, dass die mit derartigem traditionalistischen Mobiliar ausgestatteten Emissäre einstiger deutscher Militärherrlichkeit auch die neuen Streitkräfte der demokratischen Republik als eine Art optimierte Wehrmacht planten. Der Einzige, der sich dem schon in Himmerod entschlossen widersetzte, war Wolf Graf von Baudissin. Wie er später selber einräumte, blieb sein Widerstand allerdings eher wirkungslos. Auf von Baudissin ging die Idee von der „Inneren Führung“ zurück, um die kommende Armee an zivilisatorische Mindeststandards der demokratischen Nachkriegsgesellschaft zu binden. Die Reformer um von Baudissin und die Restauratoren der Wehrmacht gerieten in einen erbitterten Streit um das für die Bundeswehr verbindliche Traditionsverständnis. Denn „Innere Führung“ lief im Kern auf ein Anti-Traditionskonzept hinaus, hatte doch Tradition in Reichswehr und Wehrmacht stets Erhalt der Ausnahmestellung des Militärs in Staat und Gesellschaft bedeutet.
Mehr als vier Jahrzehnte der sorgsam gepflegten „Traditionslüge“
Wie sich die Kontroverse entfaltete, lässt sich bis heute gut nachzeichnen. Auf die Himmeroder Denkschrift und die Ehrenerklärungen folgte der BMVg-Erlass Bundeswehr und Tradition von 1965. Zwar wurde dort nach zähem Ringen endlich der Widerstand des 20. Juli 1944 als wichtiger Bestandteil der Traditionspflege anerkannt. Die Frage nach der Traditionswürdigkeit der Wehrmacht aber blieb unbeantwortet. Einen Schritt weiter ging Verteidigungsminister Apel (SPD) mit seinem Erlass Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr von 1982. Er stellte klar, dass ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich keine Tradition begründen könne. Kernsätze des bis zum heutigen Tage unverändert gültigen Erlasses lauteten: Alles militärische Tun muss sich an den Normen des Rechtsstaats und des Völkerrechts orientieren. Die Pflichten des Soldaten erlangen sittlichen Rang nur durch Bindung an das Grundgesetz. Die Pflege von Traditionen solle der Möglichkeit entgegenwirken, sich wertneutral auf das militärische Handwerk zu beschränken. Kasernen und andere Einrichtungen der Bundeswehr könnten nach Persönlichkeiten benannt werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht hätten.
Obwohl der Erlass verbindliche Kriterien der Traditionspflege in der Bundeswehr – nämlich Recht, Freiheit und Demokratie – definierte, blieb das Verhältnis zur Wehrmacht weiter unbestimmt. In besagtem Erlass fand sich die Wehrmacht mit keinem Wort erwähnt – seltsamerweise auch nicht der Widerstand des 20. Juli 1944.
Erst Verteidigungsminister Rühe (CDU) vollzog den klaren Bruch mit der Wehrmachtstradition. Anlässlich der Kommandeurstagung 1995 in München verfügte er: „Die Wehrmacht war als Organisation des Dritten Reiches, in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann sie deshalb keine Tradition begründen.“ Darüber hinaus negierte er entschieden, dass einer rein militärischen Haltung und Leistung eine traditionsstiftende Bedeutung zukommen könne. Nach mehr als vier Jahrzehnten der sorgsam gepflegten „Traditionslüge“, wie Ralph Giordano notierte, war endlich ein Stück Wahrhaftigkeit eingekehrt.
Die vorläufig letzte Frontbegradigung vollzog 1998 der Deutsche Bundestag. Anlässlich des 61. Jahrestages der Bombardierung von Guernica in Spanien durch die Legion Condor, entschied er, die Bundeswehr solle „dafür Sorge tragen, dass Mitgliedern der Legion in Deutschland“ künftig kein „ehrendes Gedenken zum Beispiel in Form von Kasernenbenennungen“ mehr zuteil werde. „Bereits erfolgte Kasernenbenennungen nach der Legion Condor sind aufzuheben.“
Die Bundeswehrführung ignorierte diesen Parlamentsbeschluss in skandalöser Weise und missachtete das sonst stets beschworene Primat der Politik. Bis heute werden Angehörige der Legion Condor durch die Bundeswehr geehrt, das gilt besonders für Oberst Werner Mölders, nach dem sogar ein Luftwaffenverband, das Jagdgeschwader 74 Mölders in Neuburg an der Donau, benannt ist.
Warum nicht der zum Tode verurteilte Cäsar von Hofacker?
Wer war dieser Werner Mölders? Erstmals markant in Erscheinung tritt er als Kommandeur einer Jagdstaffel der Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg. Innerhalb weniger Monate kämpft er sich an die Spitze der Condor-Jäger, schreibt sein Jagdfliegerkamerad Adolf Galland, der unter Hitler zum Generalleutnant aufsteigt. Im Zweiten Weltkrieg wird Mölders zum „Top Gun“, der seine Gegner dutzendweise vom Himmel schießt. Hitler lässt eigens für ihn eine neue Auszeichnung entwerfen – das „Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes“ -, verleiht sie ihm nach dem 100. Luftsieg und belohnt ihn zusätzlich mit dem Amt eines „Generals der Jagdflieger“, der direkt dem „Führer“ und Göring unterstellt ist. Die Nazi-Propaganda stilisiert ihn zur exemplarischen Heldengestalt des Dritten Reiches. Als Mölders bei einem Flugzeugabsturz im November 1941 ums Lebens kommt, wird das Fliegeridol endgültig zur Kultfigur verklärt und mit einem pompösen Staatsbegräbnis bedacht. Eine bemerkenswerte Krieger-Biographie.
Im Bundesverteidigungsministerium wird bis heute abwiegelt. Mölders, so ist zu hören, sei „nicht so herausgehoben“ gewesen, er habe sich „nicht selbst an der Bombardierung von Guernica beteiligt“, er sei „persönlich nicht in das Unrecht des NS-Regimes verstrickt gewesen“. Offenbar spielt es für die Bundeswehrführung keine Rolle, dass Mölders sich freiwillig als Angehöriger eines Söldnerkorps hervortat, das General Franco und seine Clique an die Macht bombte. Unwesentlich scheint auch zu sein, dass Mölders ein Handwerker des Krieges war, der sich vor allem dadurch auszeichnete, dass er schnell und effizient für eine Diktatur tötete. Ein williger Vollstrecker als Traditionsstifter für die Luftwaffe des demokratischen, freiheitlichen, rechtsstaatlichen Deutschlands?
An keiner einzigen Stelle in Mölders Biographie ist die vom Traditionserlass geforderte „herausragende Tat“ zu erblicken, mit der er sich „um Freiheit und Recht verdient gemacht“ hätte. Wenn gemäß den gültigen Traditionsrichtlinien „ausschlaggebend“ sein soll, ob „Gesamtpersönlichkeit und Gesamtverhalten“ eines Namenspatrons „beispielgebend in unsere Zeit hineinwirken“, so kann die Person Mölders allenfalls als Negativbeispiel dienen. Es bleibt festzuhalten, dass mit der von höchster Stelle gedeckten Praxis der Traditionspflege in der Bundeswehr das Parlament missachtet, Geschichtsklitterung betrieben und fortgesetzt gegen die eigene Erlasse verstoßen wird.
Da muss es angesichts des neuen Bundeswehrauftrages einer „Verteidigung bis zum Hindukusch“ schon bedenklich stimmen, wenn Leute wie Mölders zu traditionswürdigen Vorbildern einer Armee erhoben werden, die erklärtermaßen Freiheit, Recht, Demokratie und Menschenwürde beschützen soll. Dabei hat die Bundeswehr falsche Helden gar nicht nötig. Sie existiert nunmehr fast 50 Jahre und damit länger als alle früheren deutschen Armeen, sie besitzt hinreichend eigene Traditionen aus demokratischer Zeit und kann sich jederzeit auf bislang nicht gewürdigte Persönlichkeiten aus dem Widerstand gegen die Nazi-Diktatur berufen – auf die Mitglieder der Weißen Rose, des Kreisauer Kreises oder der Roten Kapelle, auf die Männer des 20. Juli. Zu letzteren zählt der zum Tode verurteilte und in Plötzensee hingerichtete Cäsar von Hofacker, ein maßgeblicher Aktivist und der einzige Teilnehmer der Luftwaffe am militärischen Widerstand gegen Hitler. Als Alternative zum Jagdflieger-Ass Mölders drängt er sich geradezu auf.
Nicht zuletzt gab es in der deutschen Militärgeschichte eine Reihe von Offizieren, die sich vom dereinst vorherrschenden militaristischen „Schwertglauben“ und imperialistischer Gewaltpolitik abwandten und dezidiert für eine Friedenskultur eintraten. Einer von ihnen, der Generalmajor a. D. Paul Freiherr von Schoenaich, wurde sogar Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft – durchaus nicht das schlechteste Vorbild für eine Bundeswehr, der vor lauter „Transformation“ und Interventionsbereitschaft ihr eigentlicher Daseinszweck – nämlich Friedenssicherung – aus dem Blick zu geraten droht.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
Kasernen der Bundeswehr (eine Auswahl)
General-Heusinger-Kaserne/Hammelburg
Adolf Heusinger, Mitbegründer der Bundeswehr, war seit 1940 als Chef der Operationsabteilung des Generalstabes im Oberkommando der Heeres Vertrauter Hitlers. Er war unter anderem für die »kriminelle Bandenbekämpfung« verantwortlich. Nach dem 20. Juli 1944 vorübergehend in Haft, wurde Heusinger noch vor Kriegsende wieder entlassen.
General-Hüttner-Kaserne/Hof
Hans Hüttner war als Kommandeur der Infanterie 1941 am Überfall auf die UdSSR beteiligt. Laut Monitor-Recherchen soll Hüttner die Erschießung von Gefangenen befohlen haben. Der Autor Jakob Knab, der sich intensiv mit Wehrmachtstraditionen in der Bundeswehr beschäftigt, schreibt über ihn: »An Generalmajor Hans Hüttner lässt sich die arbeitsteilige Täterschaft von Wehrmacht und Einsatzgruppen aufzeigen.
General-Konrad-Kaserne/Reichenhall
Als Oberst war Konrad Kommandeur des Gebirgsjägerregiments 100, das 1935 aufgestellt wurde. In einem von ihm unterzeichneten Tagesbefehl vom 3. Januar 1942 heißt es: »Dem Führer und seinem Werk gehört unsere ganze Hingabe. Wir wollen es hüten und siegreich tragen durch das neue Jahr zum Heile Deutschlands Mackensen-Kasernen in Hildesheim, Karlsruhe und Bergzabern Der Veteran des I. Weltkrieges August von Mackensen (preuß. Generalfeldmarschall) hielt auf enge Gefolgschaft zu Hitler und verdammte Stauffenbergs Tat am 20. Juli 1944 als »fluchwürdiges Attentat«. Noch Ende 1944 richtete Mackensen einen Aufruf an die 14- bis 17-Jährigen, mit »Opferbereitschaft und Fanatismus« Hitler die Treue zu halten.
Rommel-Kasernen in Osterode und Augustdorf
Generalfeldmarschall Erwin Rommel wird zu den »Männern des 20. Juli gezählt«, weil er von dem Attentat gewusst haben soll, ohne Hitler zu warnen, und daraufhin zum Selbstmord gezwungen wurde. Andererseits war er 1943 als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B in Kriegsverbrechen an der italienischen Zivilbevölkerung verstrickt, unter anderem in das Massaker von Boves im 19. September 1943.