Seit der letzten Kundgebung hat sich einiges getan: Am 5. Februar 2016 hatte der ukrainische Kriegsdienstgegner Ruslan Kotsaba endlich die Gelegenheit, sich selbst zu den Vorwürfen gegen ihn zu äußern – nach einem Jahr U-Haft! Dabei zeigte er sich entschlossen: In einer mehr als zweistündigen Prozesserklärung bekräftigte er seinen Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung. Zum Prozess reiste auch eine Delegation der DFG-VK. Berichterstattung u. a. hier. Ruslans Ehefrau bedankte sich bei der Delegation für die Unterstützung der deutschen AntimilitaristInnen, auch Ruslan selbst wies in seiner Erklärung darauf hin.
Am 17. 2. ist der nächste Prozesstermin – und wir stehen wieder vor der ukrainischen Botschaft.
Um 13 Uhr, Albrechtstraße 26, 10117 Berlin
Hier zum Aufruf
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Bericht über die Kundgebung:
Es waren wieder einige UnterstützerInnen da; erneut betont wurde das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Ein Teilnehmer der Delegation, die zum letzten Prozess am 5. 2. 2016 nach Iwano-Frankiwsk gereist war, berichtete:
Zum Prozess am 5. Februar in Iwano-Frankiwsk fuhren auch Mitglieder der DFG-VK als BeobachterInnen.
Ruslan Kotsaba hatte dabei erstmals Gelegenheit – nach über einem Jahr U-Haft – zu den Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen.
Er sprach fast zweieinhalb Stunden lang und wies jeden Punkt der Anklage zurück. Er bekräftigte seine Kritik am Versuch, den Konflikt in der Ukraine militärisch zu lösen. Im Kriegsgebiet sei er zum Pazifisten geworden.
Er ging mehrfach auf die Unterstützung ein, die er aus dem Ausland erhält, betonte auch, wie wichtig ihm die Anwesenheit der deutschen Delegation sei. Er habe aus 14 Ländern Unterstützungsschreiben erhalten – Briefe aus der Ukraine waren allerdings nicht dabei. Überhaupt, das sagten auch Ruslans Frau und seine Anwältin, wage es in der Ukraine niemand, öffentlich für ihn einzutreten. Es gebe UnterstützerInnen, insbesondere Leute, die mit der Kriegspolitik ebensowenig einverstanden sind, aber die blieben anonym.
Sie haben wenig Hoffnung, dass sich in der Ukraine die Stimmung ändert und Ruslan bald frei kommt, sie setzen vielmehr auf internationalen Druck, und da nimmt das westliche Ausland natürlich eine wichtige Rolle ein. Auch für Ruslans Moral ist diese Unterstützung wichtig.
Die Delegation hat daher die Überzeugung mitgenommen, dass es wichtig ist, sich weiterhin einzumischen.
Noch ein Hinweis zu den Haftbedingungen: Die Zelle, in der Ruslan sitzt, hat im Winter Temperaturen, die die 13-Grad-Marke nicht übersteigen. Wenn denn die Heizung überhaupt funktioniert. Das grenzt wohl an folterähnliche Haftbedingungen.
Prognose: Erwartet wird ein weiterhin schleppender Prozessverlauf. Das erste Jahr U-Haft ist ja damit verstrichen, dass das Gericht diverse Zeugen vor allem aus dem Militär angehört hat, um zu erfahren, ob Ruslans Verweigerungsaufruf konkrete Folgen gehabt habe. Die Antwort war wohl überwiegend, dass solche Folgen nicht sichtbar geworden seien.
Die nächsten Monate werden mit Befragungen von Ruslan selbst und womöglich Verlesungen von Prozessunterlagen verstreichen. Ein Urteil des Stadtgerichts Iwano-Frankiwsk wird aber – immerhin – im Laufe des Jahres erwartet (Angaben von Anwältin Tatjana Montjan).
Nachfolgend noch einige Zitate aus Ruslans Prozesserklärung (Übersetzung aufgrund von Mitschriften im Gerichtssaal):
„Glaube, Idee und Ehre kann man nicht normieren. Ich bin ein überzeugter Pazifist. Das Wertvollste ist für mich das Leben des Menschen.“
„Ich habe ‚adäquate Leute‘ Leute zur Verweigerung der Mobilisierung aufgerufen [die Formulierung „a.L.“ aus seiner Videobotschaft wird in der Anklageschrift zitiert – CM.]. Was sind für mich ‚adäquate Leute‘? Die, die sich von Gottes Geboten leiten lassen; die sich von der Verfassung der Ukraine leiten lassen – dort finden sich auch Bestimmungen über Kriegsdienstverweigerung; die sich von den geltenden Gesetzen der Ukraine leiten lassen – das haben die Politiker nicht getan, die in Friedenszeiten eine Mobilisierung ausgerufen haben.“
„Meinungsfreiheit, Gedankenfreiheit, Freiheit der Weltanschauung – das ist Zivilisation. Die soll uns heute genommen werden.“
„Ein Journalist muss immer die Meinungen beider Seiten wiedergeben. Wenn im Fernsehen ein ATO-Soldat vor einem verrosteten Panzer etwas sagt, ist das kein Journalismus.“
.: „Einer der Zeugen griff mich hier im Gericht an und drohte, mich zu töten. Das sah die Staatsanwaltschaft aber nicht als Mordversuch an.“
„Einige Zeugen – fast alle Militärs – , die gegen mich ausgesagt haben, haben inzwischen Beförderungen bekommen.“
zu den Vorwürfen der Anklageschrift, er habe russischen Journalisten Interviews gegeben und in russischen Fernsehsendungen mitgewirkt: „Ich habe nicht nur russischen Journalisten Interviews gegeben, sondern auch polnischen, deutschen, chinesischen und vielen mehr – im Durchschnitt zehn Interviews pro Tag. Immer habe ich gesagt: Das dort im Osten der Ukraine ist Bürgerkrieg und Brudermord.“
„Ich war im Osten auch im Niemandsland. Das ist dort, wo sich jeder zu Boden wirft, sowie er nur jemanden mit einer Waffe sieht. Ein Menschenleben kostet dort gerade einmal eine Patrone.“
„Es gibt in Europa Erfahrungen mit friedlichen Lösungen für Separationsbewegungen. Warum nutzt man die bei uns nicht?“